Wie die Madonna auf den Mond kam
Der Deutsche! Wörner von Braun! Hab ich's nicht immer gesagt, ein Deutscher vergisst nie.«
Obschon Großvater auf die siebzig zuging und auch Dimitru nicht mehr der Jüngste war, rannten sie wie die Hasen zum Haus der Familie Kiselev. In der Wohnstube stand auf einem furnierten Eckschrank der einzige Fernseher von Baia Luna.
»Ihr kommt spät«, grüßte Petre Petrov, der sich wie so viele zu den Kiselevs eingeladen hatte. »Der Countdown ist gerade abgelaufen. Apollo fliegt.«
Als Dimitru und Ilja auf den Bildschirm starrten, sahen sie inmitten der schwarzen Mattscheibe nur noch einen hellen Feuerschweif, der kleiner und kleiner wurde, bis er auf die Größe einer Alumünze schrumpfte, ein Bild, das mich an Dimitrus Madonnenfotos erinnerte. Als sich letztlich ein winziges, stecknadelgroßes weißes Pünktchen in der Nacht des Alls verlor, fragte der Zigan: »Alles glattgelaufen ?«
»Sauberer Start«, antwortete Petre. »Vom Feinsten. Ihr habt was verpasst.«
»Und? Wie stark ist die Truppe an Bord?«
»Nur drei Mann. Collins bleibt im Kommandoschiff, Armstrong und Aldrin gehen raus. Mit ihrer Mondfähre. Dreihundertundachtzigtausend Kilometer! Stell dir das vor. In vier Tagen sind sie oben. Wenn alles glattgeht. Der Kommentator hat gerade gesagt, die Redenschreiber hätten Präsident Nixon den Nachruf auf die drei schon in die Tasche gesteckt. Falls was schiefläuft.«
»Hat man auch gesagt, wo die beiden Astronauten landen werden?« Dimitru zerriss es beinahe vor Spannung. »Mensch, Dimitru, nerv uns nicht mit deinem dämlichen Gefrage«, meckerte Petres Vater Trojan. »Auf dem Mond werden sie landen. Hast du das immer noch nicht mitbekommen?« »Wo? Wo genau? In welchem Mare?«
»Keine Ahnung.« Trojan zuckte mit den Schultern. »Irgendwo im Staub. Platz ist da oben schließlich genug für den Igel.«
»Für wen?«
»So heißt die Mondfähre«, erklärte Petre. »Wir haben uns hier auch schon gefragt, weshalb den Amerikanern kein besserer Name eingefallen ist.«
Wie in alten Zeiten nutzte Dimitru Petres Bemerkung zu einem Sermon auf die menschliche Dummheit und erläuterte herablassend, der Igel sei im Amerikanischen kein Stacheltier, sondern der Name für einen riesigen Vogel.
Während die übrigen Männer einer nach dem anderen Elenas Wohnstube verließen, weil sie die Bilder von der Bodenstation in Houston langweilten, wachten Großvater und Dimitru vier Tage derart konzentriert vor dem Fernseher, dass der Zig an nicht einmal aufmerksamkeits fördernde Getränke benötigte.
20. Juli 1969: Das Wohnzimmer der Kiselevs war zum Bersten voll. Elena reichte Schnittchen und die guten Salzkekse aus der Hauptstadt, doch niemand langte zu. Alle Augen klebten am Bildschirm. Um sechzehn Uhr siebzehn, hundertundzwei Stunden und fünfundvierzig Minuten nach dem Start,landete die Mondfähre. Niemand registrierte, dass Dimitru sechzig Sekunden später entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Die Zuschauer vor dem Bildschirm warteten ungeduldig. Gleich würde erstmals ein Mensch auf dem Mond stehen. Dem Zigeuner war das egal. Er ahnte, nein, er wusste:
Alles war umsonst. Neunzehn Uhr vierunddreißig: Der Sprecher meldete, Armstrong und Aldrin legten ihre Raumanzüge an. Das dauerte. Zweiundzwanzig Uhr neununddreißig: Neil Armstrong stand in aufgeplustertem Overall auf der Treppe der Mondfähre, ging aber nicht zügig hinunter. Zweiundzwanzig Uhr fünfzig: »Nun mach endlich«, rief Petre Petrov. Sechs Minuten später streckte Armstrong den linken Fuß aus und berührte als erster Mensch den Mond. Dann sagte der Astronaut etwas auf Amerikanisch, was außer Dimitru niemand in Baia Luna verstand. Gottlob übersetzte der Fernsehsprecher den Satz mit einem Stolz in der Stimme, als stünde er selber da oben. Alle jubelten und fielen sich in die Arme. Dimitru blieb sitzen. Er weinte. Es sei die Rührung, dachten alle. Doch der kleine Schritt für einen Menschen und der gewaltige Sprung für die Menschheit bewegten Dimitru nicht mehr. Er zupfte Großvater am Ärmel, nahm ihn zur Seite, raunte ihm etwas zu. Gab auch mir einen Wink. Wir verließen das Wohnzimmer der Kiselevs, setzten uns draußen auf die Bank neben der Tränke, wo sonst Karl Koch immer seine Hände anstarrte.
Die Marianische Mission der Amerikaner war gescheitert.
Das war Dimitru bereits eine Minute nach der Landung der Mondfähre klar. Kommandant Armstrong hatte die Flugkontrolle Houston gerufen. Houston meldete sich, fragte wie die Lage
Weitere Kostenlose Bücher