Wie die Madonna auf den Mond kam
Schulgebäude abzureißen. Binnen Wochenfrist hingen in drei neuen Klassenräumen Porträts des künftigen Conducators und Kronauburger Bezirkssekretärs Stephanescu.
Pünktlich zum Schuljahr 1967/68 fuhr ein Lastwagen mit Schulmöbeln und Lehrbüchern vor, gefolgt von einem klapprigen Lada, aus dem der neue Lehrer Adrian Popescu stieg. Der Mittvierziger bezog das ehemalige Wohnhaus der Familie Hofmann und erwies sich als menschenscheuer Eigenbrötler, der die Männerrunden in der Wirtsstube mied. Da er aber mit den Kindern gut zurechtkam, über das gebotene Maß an Strenge verfügte und keinen im Dorf störte, gewöhnte man sich an seine Anwesenheit. Zwischen ihm und dem Ungarn Istvan entwickelte sich sogar so etwas wie eine Freundschaft, weil beide der Ansicht waren, die Fälschungen der römischen Scherben verdienten nicht einmal das Prädikat plump.
Als der Nachfolger des kleinen Stalin Mitte der sechziger Jahre proklamiert hatte, nach Abschluss der sozialistischen Phase trete die Neue Nation nun stolz und erhobenen Hauptes den Weg in den Kommunismus an, bewertete man das im Dorf zunächst als aufgeblasenes Politikergeschwafel. Sozialismus? Kommunismus? Was hieß das schon? Außer einer neuen Schule, den niedrigen Preisen für Lebensmittel und den Propagandareden aus den Radios wusste niemand genau zu sagen, worin das Neue an der Neuen Nation in Baia Luna eigentlich bestand. Doch als der Getriebemonteur Alexandru Kiselev unter neidischen Blicken eine elektrische Nähmaschine, eine automatische Wäscheschleuder, eine Haartrockenhaube sowie einen Fernsehapparat mit Antenne ins Dorf schleppte, mussten wir einsehen, dass die Fortschrittsversprechen der Partei mehr waren als heiße Luft.
Dass für den Aufbau der Nation reichlich Kredite ausgerechnet vom kapitalistischen Klassenfeind flossen, war dem Conducator zu verdanken, der sich zu Anfang seiner Herrschaft zunächst als unermüdlicher Arbeiter und bescheidener Diener seines Volkes gab. Bis ein verarmter Poet sich Vorteile davon versprach, ihn als Garant der Blüte und stolzen Spross der Heimaterde zu besingen. Weil vor allem seiner Gattin Elena die Verse gut gefielen, ließ sie die Dichter des Landes zu einer Audienz rufen und bestellte noch mehr Gedichte. Man pries den leuchtenden Abendstern, feierte den Hüter der Weisheit und bejubelte das Universalgenie und den Titan der Titanen, was Elena veranlasste, sich in einen Flieger nach Persien zu setzen. Dort kaufte sie dem Schah für einen Spottpreis ein goldenes Zepter ab. Danach nähte Elena eigenhändig Fantasieschärpen aus Glanzseide, die sich ihr Mann umhängte, wenn er bei seinen öffentlichen Auftritten mit seinem neuen Regentenstab in der Luft fuchtelte.
Den Grundstein für seinen Aufstieg legte der Conducator mit der Entscheidung, nach seinem Amtsantritt als Generalsekretär im Jahr 1965 aus den Fußstapfen seines verstorbenen Vorgängers Gheorghiu-Dej herauszutreten. Statt wie der kleine Stalin dauernd nach Moskau zu fliegen, besuchte er lieber China und Amerika und brachte die Fronten des Kalten Krieges durcheinander. Obschon bekennender Marxist, legte man ihm in den USA einen roten Teppich aus, mit dem Kalkül, er werde dafür einen Keil in den Block des kommunistischen Lagers treiben. Als 1968 sowjetische Panzer durch Prag rollten, zeigte der Conducator dann auch Leonid Breschnew und den sozialistischen Verbündeten die kalte Schulter und ließ seine Truppen zu Hause, statt sie gegen die aufständischen Tschechen in den Krieg zu schicken. Daheim brachte ihm diese Unterlassung den Ruf des Nationalhelden ein. Zur Freude der Poeten. Auch das Ausland zollte höchsten staatsmännischen Respekt, nicht zuletzt deshalb, weil er ständig hochrangige Gäste einlud, die er mit Großzügigkeiten überhäufte und aufs Fürstlichste bewirtete. Im Gegenzug heimste er Orden und Gastgeschenke für sich und seine Frau ein und wurde von der englischen Königin sogar in den Adelsstand erhoben. Gekrönt wurden die weltumspannenden Beziehungen des Conducators von seinem engen Kontakt zu Richard Nixon. Noch vor seiner Präsidentschaft hatte der Amerikaner den privaten Fuhrpark des Conducators um einen karminroten Straßenkreuzer bereichert, in dem er sich allerdings nie chauffieren ließ, weil die Karosserie nicht dreifach gepanzert war.
Außer dem Sachsen Karl Koch gab es in Baia Luna nur noch zwei Bewohner, denen es in den sechziger Jahren gleich war, ob das Land nun erblühte oder nicht: die beiden Freunde Ilja und
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