Wie die Madonna auf den Mond kam
sah und lieber in die Industrie wollte. Doch Alexandru teilte ihm immer nur mit, die Neueinstellungen seien allein Mitgliedern der Partei vorbehalten. Mit einem Parteiausweis in der Tasche, das war für Hermann unstrittig, hätte er seinem Vater niemals mehr unter die Augen treten dürfen. Dennoch erkundigte er sich bei Alexandru mit stets derselben Frage: »Wie sieht's aus in Stalinstadt?«
»Gut. Aber Stalinstadt heißt jetzt nicht mehr Stalinstadt, sondern wieder Brasov. So wie früher.«
Hermann maß der Namensänderung keine besondere Bedeutung bei, doch ich schloss daraus, dass die einst so mächtigen Säulen der außenpolitischen Beziehungen zur Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ins Wanken gerieten.
Meine Vermutung bestätigte sich, als Liviu Brancusi eines Abends freimütig erzählte, im Kollektiv vom Agrokomplex in Apoldasch breite sich Unbehagen aus, weil die wertschöpfenden Volksgenossen permanent zur Quotensteigerung angetrieben würden, und zwar auf Druck aus Moskau. Selbstverständlich sei er als vielfach ausgezeichneter Kollektivist jederzeit bereit, über das Plansoll hinaus seine Arbeitskraft in den Dienst der proletarischen Sache zu stellen, wohlgemerkt zur Verbesserung der nationalen Ernährungslage, nicht aber, um die fetten Mastschweine vom AKA zwo in die Sowjetunion zu exportieren. Liviu betonte, er vertrete voll und ganz die Parteilinie, wenn er fordere, die Fesseln der Freundschaft zum großen sozialistischen Bruder nicht zu kappen, aber schrittweise zu lockern. Ein Genosse habe, bevor er die internationale Proletarisierung vorantreibe, zuallererst die Aufgabe, vor der eigenen Haustür zu kehren. »Wir brauchen die unabhängige eigenständige Souveränität«, sagte er, »sonst blutet der Russe uns aus.«
Hinter der Zurückbenennung von Stalinstadt in Brasov steckte ein System. Wieder einmal wurden im Land die Straßenschilder ausgetauscht. Bei allen Stalin-Plätzen, Stalin-Alleen und Stalin-Boulevards wurde der Name des Diktators durch den Namen Gheorghiu-Dej ersetzt, bis später auch dieser Name im Licht seines Nachfolgers verblassen sollte. Zwar wurden vom Zentralkomitee weiterhin die unverbrüchlichen Bande der Solidarität mit der Sowjetunion beschworen, doch die Truppen der Roten Armee mussten unter Berufung auf das Prinzip der nationalstaatlichen Unabhängigkeit aus Transmontanien abziehen. Das sowjetische Denkmal des unbekannten Soldaten in der Hauptstadt wurde abmontiert, und an das Russische Museum hängte man ein Schild» Wegen Renovierung geschlossen«. An den Schulen wurde Russisch als verpflichtendes Unterrichtsfach gestrichen, und alles, was im Entferntesten an die slawischen Wurzeln der Neuen Nation erinnerte, wurde peu à peu aus den Geschichtsbüchern entfernt. Der Grund lag wohl darin, dass eine große Nation auch eine große Freiheitsgeschichte brauchte, zudem wollte man den Ungarn eins auswischen. Der sozialistische Nachbar hörte nicht auf, territoriale Ansprüche an sein altes Stammland in Transmontanien zu stellen, währenddessen die Transmontanier behaupteten, sie seien schon in vorchristlicher Zeit zuerst da gewesen, genauer gesagt ihre Vorfahren, die Daker und die Römer.
Um dies zu untermauern, schickte der neue Erste Sekretär des Zentralkomitees und spätere Conducator Archäologentrupps übers Land, die nach alten Scherben aus römischer Vergangenheit graben mussten. Waren die Funde tatsächlich römisch, landeten sie in den Vitrinen ungezählter Heimatmuseen, die in jedem Provinzstädtchen eröffnet wurden.
Waren die Topfscherben jedoch slawischen Ursprungs, was zumindest im Bezirk Kronauburg ständig der Fall war, mussten die Grabstätten sofort wieder zugeschüttet werden. Um die historischen Fakten in seinem Sinn zurechtzurücken, so erzählte man hinter vorgehaltener Hand, habe der Erste Sekretär in der Nähe von Schweischtal eine geheime Manufaktur bauen lassen, wo zur Verschwiegenheit verpflichtete Ziegelbrenner alte Töpfe im antiken Stil herstellten, um sie dann zu zerschlagen und die Scherben in ehedem ungarischem Siedlungsgebiet zu verbuddeln. Anders ließ sich nicht erklären, dass man sogar bei uns in Baia Luna auf Spuren der Römer traf. Zufällig bei Bauarbeiten.
Als niemand mehr mit Veränderungen im Dorf rechnete, erschien ohne jede Vorankündigung ein Bautrupp mit schwerem Gerät. Die Monteure verteilten in allen Haushalten die Parteibroschüre »Kinder sind die Zukunft«. Dann machten sie sich daran, das leer stehende
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