Wie die Madonna auf den Mond kam
aussehe. Armstrong sprach in sein Funkgerät: »Tranquility Base here. The Eagle has landed.« Nur wo? »Tranquility Base!«
»Der Ami hat es schon wieder vermasselt«, stöhnte Dimitru. »Der findet Maria niemals. Da hilft auch kein Wörner von Braun.«
»Woher willst du das wissen?«, meinte Großvater. »Die Astronauten sind doch gerade erst oben angekommen?« »Armstrong kraxelt im Mare Tranquillitatis herum, nicht im Mare Serenitatis. Maria thront aber im Meer der Heiterkeit, nicht im Meer der Ruhe.«
Ilja entfuhr nur: »Scheiße.«
Ich musste reagieren. Etwas sagen. Irgendwas. Die beiden Freunde sackten in sich zusammen. Ratlos, sprachlos, hilflos. Ohne Sinn, ohne Zweck, ohne Ziel, ohne Hoffnung. Einen Funken Zuversicht wollte ich entfachen, Lebensmut spenden, in lauterer Absicht. Doch ich hatte Großvater und Dimitru unterschätzt. Ich hatte in ihrem Madonnenspleen nur den spinnerten Wahn gesehen, nie ihre Verzweiflung, ihren redlichen Ernst. So lieferte ich mit einem albernen Gedankenspie1 den Anstoß zu einem weiteren Kapitel der Tragödie, deren Verlauf ich nicht mehr zu steuern vermochte.
»Dimitru«, sagte ich. »Dieser Deutsche. Dieser Wernher von Braun, du hast doch immer gesagt, der Deutsche sei schlau. Was ist, wenn der von Braun das Meer der Heiterkeit gar nicht verfehlt hat? Wenn er es verfehlen wollte! Absichtlich! Wenn er den Armstrong und seine Kollegen mit Berechnung ins falsche Mare geschickt hat?«
»Was, Pavel? Mit Kalkulation? Ein Akt von Sabotage!
Glaubst du, der Wörner will verhindern, dass der Amerikaner die Madonna entdeckt?«
»Weiß nicht, aber könnte doch sein.«
»Aber das ist nicht evidentisch! Wörner von Braun wird vom Ami üppigst bezahlt. Paktiert der Deutsche etwa im Geheimen mit dem Sowjet? Gegen den Ami?«
»Niemals, Dimitru«, widersprach Großvater. »Der Deutsche, ich meine, der Deutsche aus dem Westen, würde nie gegen den Amerikaner revoltieren. Dann wäre es mit der Luftbrücke über die Mauer nach Berlin vorbei. Und das kann ja wohl nicht im Interesse des Deutschen liegen. Aber trotzdem, dieser von Braun ist mir nicht geheuer. Hat er wirklich bereut, dass er dem Führer für sein Tausendjähriges Reich die Bombenraketen gebaut hat? Ist er wirklich ein anderer geworden? Ein Verbündeter? Der Retter der Gottesmutter? Oder verfolgt er im Klandestinen womöglich ganz andere, eigene, undurchschaubare Ziele?«
»Oh, oh, oh, Ilja, ich verstehe! Und rekapituliere: Der Sowjet will die Madonna vom Mond holen, um die Himmelfahrt rückgängig zu machen. Dann kann er weiter an seinen Atheismus glauben. Der Amerikaner muss beweisen, dass Gott existiert. Er muss die Gottesmutter finden, weil er seine Dollars nicht einstampfen will. Aber der Deutsche, der steht dazwischen, der Deutsche will weder das eine noch das andere. Er will, dass Maria unentdeckt bleibt. Deshalb schickt der Wörner von Braun den Armstrong und Aldrin ins falsche Mare. Und deshalb mussten sie sterben, die Kennedys, Koroljow, Gagarin und die vielen Astronauten und Kosmonauten. Allein der Wörner hat überlebt. Er steckt hinter allem. Ich frag mich nur. Warum? Ich meine, was hat der Deutsche davon?«
»Was hast du eben gesagt?«, warf Großvater ein. »In welchem Meer ist die Mondfähre gelandet?«
»Mare Tranquillitatis.«
»Das ist kein Zufall. Der Deutsche will seine Ruhe haben«, erklärte Großvater.
»Wovor?«
»Mensch, Dimitru, das solltest du als Zigeuner aber wissen.
Euch Schwarze wollten sie damals doch auch alle umbringen. Kapier doch! Seit das mit dem Tausendjährigen Reich nichts wurde, will der Deutsche endlich Ruhe haben vor den ermordeten Juden. Und Maria ist Jüdin! Die Gottesmutter stammt aus dem Volk Israel! Maria ist als Einzige ihres Volkes leibhaftig auferstanden. Sagt auch das päpstliche Dogma. Stell dir vor, dieser von Braun würde sie entdecken. Maria würde ihm mit Sicherheit ein paar unangenehme Dinge über den Umgang mit ihrem Volk erzählen und die Deutschen ständig am Vergessen hindern. Am besten wäre für den Deutschen, Maria bliebe da oben im Mondenstaub. Dann könnte sie mit den Aposteln feiern und den Lauf der Welt nicht mit ihren Erinnerungen stören.«
»Klingt logisch, Ilja«, sagte Dimitru ohne einen Anflug von Begeisterung. »Genau gesagt, klingt zu logisch. Aber Papa Baptiste hat mich gelehrt, zu jeder Theorie auch kontradiktorische Theorien einzuholen und zu prüfen.«
»Erklär mir, was du meinst.«
»Vielleicht ist der Wörner tatsächlich nur ein
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