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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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gegenüber den Juden quälte. Er hat das auserwählte Volk im Dritten Reich im Stich gelassen. Schon Johannes Baptiste sagte, die Kirche habe in ihrer Geschichte für die Juden keinen Finger krumm gemacht, obwohl sie das s chwere Los auf sich nehmen muss ten, ihren Landsmann Jesus zu kreuzigen, damit wir erlöst sind. Mit dem Dogma wollte der Papst Maria einen Gefallen tun und ihr attestieren, sie sei gar nicht dem Staub der Erde verfallen. Durch die Verkündigung ihrer Himmelfahrt hat Rom wenigstens im Nachhinein noch eine Jüdin gerettet.«
    Hermann Schuster verschlug es die Sprache.
    Großvater fuhr unbeirrt fort: »Dann wurde die Sache für den Vatikan kompliziert. Es begann mit dem Sputnik. Bei der Verkündigung des Dogmas hat der Papst nicht geahnt, dass der Mensch einmal die Schwerkraft überwindet und auf dem Mond landet. Sollte das Dogma wahr sein, dann wird man Maria eines Tages finden. Der Russe oder der Amerikaner oder sonst wer. Daran ist dem Vatikan aber ganz und gar nicht gelegen. Deshalb setzt der Klerus alles daran, dass die Madonna unentdeckt bleibt. Am besten ist, wenn niemand mehr auf die Idee kommt, überhaupt nach Maria zu suchen. Deshalb verkündet der Wachenwerther, das Dogma sei nicht wörtlich gemeint, weil dann jeder, der an der Suche festhält, als Idiot dasteht.«
    Nachdem Hermann Schuster sich zwei Stunden bemüht hatte, Ilja zu folgen, drohte sein Schädel zu bersten. Belastet mit der traurigen Gewissheit, dass der Morbus lunaticus dem einst so besonnenen Schankwirt Ilja den Verstand vernebelt hatte, schlurfte Hermann zurück zu seiner Erika, während sich Großvater zum ersten Mal in seinem Leben abmühte, mit ungelenker Handschrift einen Brief zu verfassen. Adressiert an den letzten mächtigen Mann, der der Vierten Macht noch Paroli bieten konnte.
    Wie ich später erfuhr, bat Großvater seine Tochter, meine Tante Antonia, das Schriftstück sorgfältig mit Zwirn und Faden in das Innenfutter seiner Wolljacke einzunähen. Zur Sicherheit mit dreifacher Naht.
    Man schrieb den letzten Tag im Juli 1969. Für den 2. August war der Besuch Richard Ni xons in der Hauptstadt angekün digt. Dass nur wenige Tage nach der erfolgreichen Mondlandung ein amerikanischer Präsident erstmals ein sozialistisches Land besuchte, war dem Einfluss des Conducators zu verdanken, von dem die Dichter erzählten, er trotze selbst der Sonne. Eine Parade war geplant. Vom Flughafen bis zum Palast der Republik. Mit Gelegenheit zum Händeschütteln. Die würde sich für Ilja nie wieder bieten.
    Dimitru, der seinen Freund gern begleitet hätte, konnte nicht.
    Er lag mit erschüttertem Hirn in seinem Bett, so benommen, dass er nicht einmal nach Morphiaten verlangte. Ilja erläuterte ihm mit knappen Worten seinen Plan und küsste den Zigan zum Abschied auf die Stirn. Dimitru nickte schwach und sagte nur: »Mein Freund, ich bin bei dir. Pass auf uns auf.«
    »Du bist übergeschnappt! Wo willst du denn hin? «, schrie Kathalina ihren Schwiegervater an, als Ilja den Kutschgaul aus dem Stall holte.
    »Ich gehe nach Amerika! «, rief er, nicht weil dies seiner Absicht entsprach, sondern weil er in seiner Mission selbst engsten Angehörigen nicht traute.
    Ich versuchte erst gar nicht, Großvater an der Abreise zu hindern. Es wäre sinnlos gewesen, zudem würde er sicher nach einigen Tagen wiederauftauchen. Doch allmählich begriff ich, dass ich, anstatt Großvater vor seinem Madonnenwahn zu schützen, ihn immer tiefer ins Unglück hatte stürzen lassen.
    Mit Großvaters Verschwinden lief auch Dimitrus Zeit in Baia Luna ab. Zunächst hatte er in der Bücherei noch auf Iljas Rückkehr gewartet, dann fällte er den Entschluss, Baia Luna zu verlassen. Es war der Tag, an dem er Antonius Wachenwerther verfluchte und zum Herrgott flehte, es möge eine Hölle geben.
    Wenige Tage nach seinem Amtsantritt machte sich der neue Priester daran, in der Gemeinde für Ordnung zu sorgen. Zunächst ließ er alle Katholiken in der Pfarrei registrieren und legte Kirchenbücher an, die Johannes Baptiste nie geführt hatte. Dann nahm er sich die Pfarrbibliothek vor. Dimitru, der sich auf seine rote Chaiselongue zurückgezogen hatte, musste auf Wachenwerthers Anordnung sein Kanapee in den Keller räumen und den Schlüssel zur Bibliothek abgeben. Einen Tag verbrachte der Priester allein in der Bücherei, dann hatte er aussortiert. Alle Bücher, die ihm als Lektüre für die Gemeinde ungeeignet schienen, ließ er in der alten Waschküche stapeln, wo der

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