Wie die Madonna auf den Mond kam
Tochter vererbt hatte, waren verkümmert zu schmalen Sehschlitzen, aus denen sie mich scheel anblinzelte.
»Ich weiß nichts. Verschwinde, du Gadscho! Ich weiß nicht, wo sie ist.«
Mich überkam die kalte Wut. Ich packte Susanna und umklammerte mit eisernem Griff ihre Kehle. »Ich dreh dir den Hals um«, sagte ich mit solch fester Stimme, dass Susanna vor Angst erbleichte und röchelte: »It-it-Italien.«
Ich ließ von ihr ab. »Was sagst du?«
Die Zigeunerin sank schluchzend auf einen Stuhl. »Buba ist in Italien. Glaub mir, ich wollte das nicht. Die Männer sagten, sie würde jeden Monat schönes Geld nach Hause schicken, und da hab ich sie den Kerlen mitgegeben. Sie wollten über Jugoslawien nach Italien. Aber es kam kein Geld. Ich habe nichts mehr von Buba gehört.« Susanna weinte trockene Tränen. »Ich wollte das doch nicht. Es war doch nur wegen der Schande, die du über uns gebracht hast. Aber ich will kein Geld mehr. Wenn Buba nur wiederkäme. Von mir aus kannst du sie haben. Hol sie dir zurück. Fahr nach Italien.«
Als ich zurück ins Dorf ging, rief mir mein einstiger Schulkamerad Hermann zu: »Kannst ruhig mit anpacken!« Ich überhörte die Aufforderung und legte mich ins Bett. Eine Reise nach Italien lag für mich jenseits aller Möglichkeiten.
Währenddessen beschäftigten sich die Bewohner Baia Lunas eifrig mit den Vorbereitungen für den feierlichen Einzug des Pfarrers Antonius Wachenwerther. Die Schulkinder lernten Gedichte auswendig. Die Männer polierten ihre Kutschen auf Hochglanz und striegelten ihre Pferde. Und die Frauen saßen bis spät in die Nacht an ihren Nähmaschinen, um weiß-gelbe Prozessionsfahnen und Kostüme im Stil der alten Kronauburger Landestracht zu schneidern. Für mich hätte in diesen Tagen eigentlich noch eine Fahrt zur HO-Kronauburg angestanden. Antriebslos wie ich mich fühlte, verschob ich die Einkäufe jedoch auf die Zeit nach der Ankunft des Priesters. Was für meinen Großvater Ilja Konsequenzen haben würde, da seine Medikamente gegen die Epilepsie zur Neige gingen.
Die Zeremonie zur Amtseinführung des Priesters Antonius Wachenwerther verlief zu aller Wohlgefallen. Zumindest bis zur Eucharistiefeier des Festhochamts. Die Prozession fand in disziplinierter und geordneter Weise statt, sodass der Kronauburger Generalvikar den Bewohnern von Baia Luna anerkennende Blicke zuwarf. Auch der junge Pfarrer machte keinen unzufriedenen Eindruck, wenngleich er den offenen Blickkontakt zu den Gemeindemitgliedern noch mied. Angeführt wurde der Prozessionszug von einem prachtvollen Schimmel mit geflochtener Mähne und bunten Bändern am Schweif, auf dem Andreas Schuster saß und mit steifem Rückgrat die Patronatsfahne trug. Nach Antonius Wachenwerther folgten der Generalvikar und die Priester aus dem Bistum. Dann die Schulkinder mit ihrem Lehrer, die Frauen mit den Kleinkindern, die Jungmänner, die Greise und die Zigeuner. Den Schluss bildete, obschon er eigentlich nicht mehr zu dem Zug gehörte, Karl Koch, der irgendwie den Anschluss verloren hatte und den zwei streunende Hunde ankläfften.
Zum Eklat kam es beim abschließenden Gottesdienst in der Kirche. Zu erwähnen ist noch, dass man während der Prozession plötzlich bemerkte, dass die Kronauburger Klerikalen vergessen hatten, geweihtes Feuer für das Ewige Licht mitzubringen. Der Generalvik ar, ein durchaus praktisch ver anlagter Kirchenmann, war daraufhin zu den Männern geeilt und hatte nach Zündhölzern gefragt. Als ich eine Schachtel aus der Tasche zog, raunte mir der Geistliche zu, schnell das Ewige Licht zu entzünden. Ich kam der Bitte nach, und so brannte die kleine rote Lampe wieder, als ich neben meinem Großvater und dem Zigan wie in Jugendtagen in einer der vorderen Bankreihen saß, um der ersten Predigt des neuen Pfarrers zu lauschen.
Ohne jede Begrüßungsformel erklärte Antonius Wachenwerther sogleich, weshalb er für seine Predigt leider nicht auf die Kanzel steigen dürfe. Das Zweite Vatikanische Konzil, unter dem sich allerdings niemand etwas vorstellen konnte, untersage die Verkündigung des Wortes Gottes von oben herab, was er persönlich um der Ehre des göttlichen Wortes Willen sehr bedauere. Dann ließ er durchblicken, dass die Neuerungen dieser modernistischen Intellektuellen aus Rom wenigstens auch ihr Gutes hätten, als man dem grassierenden Aberglauben im Volk nun endlich den Kampf ansage. Schon in zwei Wochen, dem 15. August, zum Festtag Mariä Himmelfahrt, werde er in einer
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