Wie die Madonna auf den Mond kam
klapperte ich sämtliche Hospitäler und Polizeistationen ab und landete zuletzt sogar in der Zentrale der Sekurität in der Calea Rahovei. Dort hörte man mir zu, doch in dem Labyrinth der Verschwiegenheit war keine Information über den Verbleib des Großvaters zu erhalten. Ich fuhr zurück, inständig hoffend, Ilja sei zwischenzeitlich wieder in Baia Luna eingetroffen.
Dem war nicht so.
Um sich einen guten Platz zu sichern, lehnte Ilja Botev schon am Nachmittag des }1. Juli 1969 an einem der Absperrgitter am Boulevard des Sieges. Hier mussten der amerikanische Präsident und der Conducator am folgenden Tag vorbeikommen. Der bunte Fahnenwald, der bereits die Straßen säumte, ließ auf eine Prunkparade schließen.
Zwei Männer in dunklen Lederjacken traten auf Ilja zu und verlangten seine Ausweispapiere. »Hab ich nicht dabei.«
»Wer sind Sie? Was machen Sie hier?« »Ilja Botev aus Baia Luna. Ich warte.«
»Das sehen wir selbst. Baia Luna? Wo liegt das?« »Bezirk Kronauburg. Gemeinde Apoldasch.«
»Sie wollen uns doch nicht erzählen, dass sie aus den Bergen eigens hierhergekommen sind, um den amerikanischen Präsiden ten zu sehen?«
»Das hab ich auch nicht gesagt! «
»Weshalb sind Sie dann hier? Ohne Ausweis?« »Das geht euch nichts an, ihr Wichtigtuer!«
Blitzschnell fasste einer der Männer Iljas Handgelenk und drehte ihm den Arm auf den Rücken. Sein Begleiter tastete ihn ab, um die Hüften, vom Geschlecht die Hosenbeine hinab bis zu den Schuhen, dann Hemd, Bauch und Rücken.
»Nichts! Keine Waffen. Keine Manifeste. Also, was wollen Sie hier?«
»Das ist meine Sache.«
Der Sekurist, der Iljas Arm umklammerte, ruckte kurz. Der Alte verzerrte vor Schmerz über die ausgekugelte Schulter das Gesicht, biss aber die Zähne zusammen.
»Ich bin ein alter Mann«, stöhnte Ilja. »Warum macht ihr so was?«
Er erhielt keine Antwort. Die beiden Sicherheitsleute schoben Ilja vor sich her und stießen ihn auf die Rückbank eines grauen Wagens. Dann fuhren sie in die Calea Rahovei.
Ein solch mächtiges Gebäude wie die Zentrale der Staatssicherheit hatte Ilja Botev in seinem siebenundsechzigjährigen Leben noch nie betreten. Die Männer führten ihn durch Seitenflügel, Gänge und Flure und sperrten ihn in einen Raum, in dem zwei Stühle und ein verbeulter Blechtisch mit einem schwarzen Bakelittelefon standen. Trotz des Sommers herrschten in dem Verhörzimmer Temperaturen wie in einem Eisschrank. Die Sekuristen zogen Ilja Jacke und Hose aus und ließen ihn allein.
Ilja bibberte am ganzen Leib, und seine rechte Schulter schmerzte höllisch, als ein Major der staatlichen Sicherheit den Raum betrat. Er trug einen Pelzmantel, befragte Ilja nach dem Sinn und Zweck seiner weiten Reise und war nach einer Stunde von der Harmlosigkeit des Festgenommenen überzeugt. Verrückte gab es im Land viele, aber so einem Spinner, der steif und fest behauptete, er sei aus den Bergen in die Hauptstadt gereist, um Präsident Nixon zu bitten, wieder ein Schiff mit echten Kaugummis nach Transmontanien zu schicken, hatte er in seinen Verhören noch nie gegenübergesessen.
Der Major reichte Ilja die Hose und half ihm in die Jacke.
Dann fühlte er etwas. Er riss das Futter der Wolljoppe auf und hielt einen Brief sowie eine schwarze Fotografie mit einem Dutzend weißer Punkte in den Händen. Er las, schüttelte den Kopf und verließ den Raum.
Nach einer Weile kam er mit seinem Vorgesetzten zurück.
Ilja Botev kannte den Mann, der ihm aus einem feisten Gesicht scharf in die Augen sah.
O berst Lupu Raducanu nahm sich Iljas Brief vor. Er war an den Ersten Vorsitzenden des Staatsrats adressiert und begann mit den Worten »Hochverehrter Genosse Generalsekretär, Titan und Conducator, wir brauchen Ihre Hilfe«. Lupu las den Brief zu Ende und grinste. »Ilja Botev aus Baia Luna. Sieh mal einer an. Herr Botev, was sollen wir mit Ihnen machen?«
Ilja schwieg.
»Sie haben ja grenzenloses Vertrauen in unser Land. Sie möchten also, dass unser Staatsoberhaupt Raketen bauen lässt? Ein eigenes Mondfahrtprogramm für unsere Nation, finanziert vom amerikanischen Präsidenten. Hört sich gut an.«
Raducanu legte Ilja eine Wolldecke über die Schultern. »Sie frieren ja. Ich denke, Ihre Ideen weisen in die Zukunft. Da lässt sich bestimmt was machen.«
Aus Iljas Augen leuchtete die Zuversicht.
»Ich schätze«, sagte Raducanu, »der Conducator wird mit der Vierten Macht fertig. Wer sonst, wenn nicht er?«
Ilja nickte.
»Ihr
Weitere Kostenlose Bücher