Wie die Madonna auf den Mond kam
Mief von muffigem Papier im Lauf der nächsten Jahre den Hauch von Rosenduft vertreiben sollte.
Dann inspizierte er den Friedhof. Mit der Bemerkung, das halb leere und nutzlose Erdloch neben dem Grab Fernanda Kleins zeuge von der Verwahrlosung des Kirchgartens, ließ er das Loch zuschütten. Danach ließ er sich vom Küster Julius Knaup anhand der Namen auf den Grabkreuzen in die Geschichte der Familien von Baia Luna einführen. Vor einem mit wucherndem Schmuckwerk überladenen Totenhügel blieb der Priester stehen und beargwöhnte die Berge bunter Plastikblumen, die das Namenskreuz verdeckten.
»Wer liegt da?«
»Laszlo Gabor, der Vater dieses unsäglichen Zigeuners aus der Bücherei. Er starb unter mysteriösen Umständen. 1935 am Ufer der Tirnava, während eine Mutter aus unserem Dorf mit ihrer Tochter in den Fluten des eisigen Flusses verzweifelt um Hilfe schrie. Und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Gabor starb als Ungetaufter.«
Um der Zersetzung des katholischen Glaubens wehrhaft entgegenzutreten, wurden die letzten Reste Laszlo Gabors exhumiert und seine Knochen in eine Holzkiste gepackt.
Dimitru kam kein Ton über die Lippen, als der Küster ihm die Gebeine seines Vaters mit dem Hinweis aushändigte, oberhalb der Friedhofsmauer neben der Barbulescu sei noch Platz.
Noch in derselben Stunde bepackte Dimitru einen Planwagen mit der Holzkiste und seinen Habseligkeiten, spannte an und lenkte die Kutsche zu unserem Haus, um sich zu verabschieden.
»Kathalina, Pavel, ihr Lieben. Ich danke euch für alles.« Mutter drehte sich um und weinte.
»Wo willst du hin, Dimi?«, fragte Antonia, die sich aus ihrem Bett aufgerafft hatte.
»Ich gehe dahin, wo auch mein Vater ist. Aber zuerst werde ich deinen Vater, meinen Freund Ilja, suchen. So lange, bis ich ihn gefunden habe.«
»Dann gehe ich mit. Ich meine, wenn es dir recht ist, dass so eine üppige Frau wie ich dich begleitet.«
»Antonia, es ist mir recht.«
»Nimm das zur Erinnerung.« Kathalina reichte Dimitru die Bibel, die der Priester Johannes Baptiste einst Großvater zu seinem fünfundfünfzigsten Geburtstag geschenkt hatte. »Ich hoffe, dass Ilja vernünftig wird und bald zurückkommt. Er wird die Bibel nicht vermissen, wenn doch, dann weiß er das Wort Gottes wenigstens in guten Händen.«
»Mein Dank für dieses Geschenk. Ich nehme es an, Kathalina, aber versteh, ich werde erst wieder darin lesen, wenn ich Ilja gefunden habe.«
Ich beschloss, noch einige Tage auf Großvater zu warten, um mich dann selber auf die Suche zu machen. Ich umarmte Dimitru zum Abschied und bat ihn, sollte er etwas über den Verbleib seiner Nichte Buba erfahren, mir bitte eine Nachricht zukommen zu lassen.
Dimitru sagte nur: »Pavel, denk an die törichten Jungfrauen.
Als sie zur Hochzeit kamen, war das Öl in ihren Lampen verbrannt.« Dann zwängte er sich neben Antonia auf den Kutschbock und trieb sein Fuhrwerk mit der Holzkiste zum letzten Mal in seinem Leben über die Brücke der Tirnava.
Zu erwähnen ist, dass die Hochwasserkatastrophe im folgenden Jahr nicht nur die eiserne Brücke fortriss. Als der Fluss über die Ufer trat, lösten sich auch die Lehmhäuser der Zigeuner in den Fluten auf. Die obdachlose Gabor-Sippe zog danach für einige Zeit mit Pferden und Wagen an den Orts rand von Apoldasch, wo man die Männer für den Bau eines Staudammes am Oberlauf der Tirnava als Handlanger rekrutierte. Ein riesiges Kraftwerk bändigte künftig im Frühjahr die Wasserrnassen des Flusses und versorgte den Bezirk Kronauburg und damit auch Baia Luna rund um die Uhr mit Strom. Bis in der Zeit des großen Mangels das Geld und das Material ausgingen und es dunkel wurde im Land, zu einer Zeit, in der in Baia Luna nichts mehr daran erinnerte, dass hier einst Zigeuner gelebt hatten.
Als Großvater vierzehn Tage nach seinem Aufbruch nach Amerika, an den selbstverständlich niemand glaubte, nicht nach Baia Luna zurückgekehrt war, machte ich mich auf, ihn zu suchen. Ich vermutete, Ilja sei zum Staatsbesuch Richard Nixons mit der Eisenbahn von Kronauburg in die Hauptstadt gereist und habe das Fuhrwerk im Pofta Buna in Obhut gegeben. Der Wirt jedoch behauptete, ein Ilja Botev aus Baia Luna sei ihm nicht bekannt.
Ich erwog alle Eventualitäten, einen Unfall, ein Verbrechen oder die nahe liegende Möglichkeit, dass Großvater nach einem epileptischen Anfall irgendwo in einem Straßengraben liegend gefunden worden war. Auf der Strecke von Kronauburg bis zur Hauptstadt
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