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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Erinnerungsfoto an die vergangene Nacht. Und schöne Grüße von Angelique, Angie und Angela. Mit dem Titelbild auf dem Time-Magazin, sorry, das wird nichts. Trösten Sie sich mit der Stimme der Wahrheit. Morgen früh. Seite eins.«
    Als die Tür zur Präsidenten suite hinter uns ins Schloss fiel, riss Stefan Stephanescu den Umschlag auf und hielt eine schwarz-weiße Fotografie in den Händen. Er sah sich. Nackt. Dann kotzte er, ohne leer zu werden.
    Draußen entbrannten neue Kämpfe. Den Gewehrsalven und Detonationen nach zu urteilen, die aus Richtung Universitätsbibliothek herüberschallten, waren sie heftiger als in den Tagen zuvor. Dröhnende Panzer ließen den Asphalt erzittern und rollten in südlicher Richtung am Atheneäum vorbei. Auf den Hausdächern hatten sich Scharfschützen verschanzt. Niemand hatte eine Ahnung, auf wen sie ihre Gewehre richten würden. Studio vier hatte zwar ein Video von der Exekution des Staatspräsidenten und seiner Gattin ausgestrahlt, war aber den letzten Beweis schuldig geblieben, dass der Bandmitschnitt keine Fälschung war. Der Conducator, die Angst hing trotz freudiger Jubelszenen und Verbrüderungsgesten noch immer in der Luft, konnte mit seinen Schergen aus dem Schatten wiederauftauchen. Und seine treuesten Gefolgsleute, die fürchten mussten, der Sturz des Diktators werde auch sie mit hineinreißen in den Strudel des Untergangs, setzten noch immer auf die Macht ihrer Waffen bei dem Versuch, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Die Revolution war sich ihres Sieges nicht sicher.
    Vor dem Athenee Palace warteten Dutzende Taxifahrer in klapprigen Dacias, aber in diesen Stunden der Unsicherheit wollte niemand durch die Stadt chauffiert werden. Ich sprach einige Fahrer an, doch wenn ich das Fahrtziel Titan II nannte, winkten alle kopfschüttelnd ab. Der fünfte oder sechste Chauffeur meinte, lieber lenke er seinen Wagen durch das Granatenfeuer als in die Siedlung der Schwarzen.
    Fritz Hofmann schickte sich an, das Transportproblem mit einem großzügigen Betrag zu regeln, als plötzlich drei Jeeps heranbrausten und mit quietschenden Reifen vor dem Hotel zum Stehen kamen. Ein Dutzend Männer mit Maschinenpistolen sprang heraus. Sie zogen sich schwarze Kapuzenmasken mit Sehschlitzen über. Einige sicherten den Hoteleingang, während die Übrigen das Palace stürmten. Als in dem Foyer ein erster kurzer Feuerstoß ratterte, rief der Taxifahrer nur: »Nun steigt schon ein.« Dann gab er Vollgas und brachte Fritz und mich bis einen halben Kilometer an das Zigeunerviertel heran.
    Als ich in die Welt am Rande der Hauptstadt eintrat, wähnte ich die Siedlung als den traurigsten Ort, den ich je gesehen hatte, ein Urteil, das ich allerdings schon am folgenden Tag revidieren musste. Die Häuser, die der Conducator einst den ziganen Volksgenossen versprochen hatte, entpuppten sich als trostlose Bauruinen. Die mehrstöckigen Behausungen ohne Heizung und Strom glichen ausgebrannten Wohnhöhlen, ohne Türen und mit Fensterlöchern wie tote schwarze Augen, aus denen man nur auf die schmutzig-grauen Fassaden mit den toten Augen gegenüber schauen konnte. In den ungepflasterten Straßen türmte sich der Unrat. Nur der Eisfrost der letzten Dezembertage verhinderte, dass aus den Abwasserkloaken faulige Blasen aufstiegen. An den Straßenecken wärmten Männer mit tief ins Gesicht gezogenen Mützen ihre Hände. Sie drängten sich um rostige Ölfässer, die sie mit Plastikmüll befeuerten, der mehr kokelte als brannte. Halb nackte Kinder hüpften barfuß auf einer zerschlissenen Matratze herum, hustend von dem schwelenden Rauch und aus kranken Lungen. Fritz musste seinen Brechreiz unterdrücken, als einige Halbwüchsige mit stumpfen Messern Fleischstücke aus einem Kadaver säbelten, dem man nicht mehr ansah, ob er einmal ein Pferd oder eine Kuh gewesen war.
    Als die Ankunft von uns Gadsche bemerkt wurde, geriet das halbe Viertel in Aufruhr. Die Kinder rannten herbei, tobten und lachten, wobei ihre Aufmerksamkeit weniger mir als Fritz galt. Sie schrien: »Foto! Foto! Amerika! Amerika! «, woraufhin Fritz den Fehler machte und aus seiner Jackentasche ein Päckchen Kaugummi hervorkramte. Sofort hingen die Kinder in einer Traube an Fritz, und ihre Zahl schien sich ständig zu verdoppeln. Schließlich flossen bittere Tränen unter denen, die keine »Gummas« abbekommen hatten. Die anfängliche Freude schlug um in wildes Gezeter und Geheule, verstärkt durch das Geschrei der Mütter, die aus den Fenstern

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