Wie die Madonna auf den Mond kam
wüste Beschimpfungen auf die Straße schleuderten. Erst als die Männer die Kinder mit einigen Kopfnüssen auf erträglichen Abstand brachten, konnte ich nach dem Zigeuner Dimitru Carolea Gabor fragen.
Zunächst zuckten die Männer ratlos mit den Schultern, doch als jemand fragte: »Wollt ihr zu Papa Dimi?«, brach eine Flut von Erklärungen und Beschreibungen über Fritz und mich herein, wobei die Zeigefinger in alle möglichen Richtungen deuteten.
»Ich bringe euch zu ihm«, bot schließlich ein gewisser Jozsef an, der stolz erklärte, Dimitrus Vetter Salman sei der Halbbruder seines Vetters Carol Costea Gabor. Nach einer Viertelstunde standen wir mit unserem Begleiter vor einem Abrisshaus, das wir in dem Meer trostloser Abrisshäuser niemals ohne Hilfe gefunden hätten.
Jozsef wies auf die Klingelleiste, die mangels Strom nicht funktionierte und nur aus herausgerissenen Kabeln bestand. »Dimi und seine dicke weiße Frau wohnen ganz oben.« Dann bat er Fritz noch um eine Zigarette, tippte sich an die Schläfe und verschwand mit den Worten: »Passt auf euch auf. Er ist nicht gesund im Kopf.«
Antonia öffnete nach mehrmaligem Klopfen. Sie rieb sich die Augen, holte tief Luft und atmete aus: »Pavel!« Dann rief sie aus voller Kehle: »Dim i! Dimi! Er ist gekommen! Pavel ist da«, wobei sie mich an ihrem mächtigen Busen herzte, dass mir fast die Luft wegblieb.
Fritz und ich betraten eine Wohnung, die vor Reinlichkeit glänzte. Buba begrüßte uns mit einem dürftigen Kuss auf die Wangen, drehte den Gasherd an und setzte Kaffeewasser auf. Ihre Lippen waren blutleer, und sie sah sehr müde aus.
Dann erst entdeckte ich den Zigan. Dimitru hockte in einer Ecke und erhob sich mühsam, gestützt auf einen Stock. Ich war mir unsicher, ob dieser Mann tatsächlich Dimitru Carolea Gabor war, und bemerkte zu meiner Verwunderung, dass der Alte auf einer abgewetzten weißen Kiste gesessen hatte, die wie ein Kindersarg aussah. Dimitru hatte denselben schwarzen Anzug an, den er schon vor Jahrzehnten zu feierlichen Anlässen in Baia Luna getragen hatte. Früher hatte ihm der Anzug eine beachtliche Stattlichkeit verliehen, nun schien er sich darin zu verlieren. Ich erschrak über Dimitrus Unscheinbarkeit. Ich erkannte ihn nicht wieder. Selbst beim Blick in die Augen des schmächtigen Greises fand ich nichts mehr von jener klugen Listigkeit, die Dimitru einst so unverwechselbar gemacht hatte. Aber er war es. Die Stimme war dieselbe geblieben.
»Du kommst spät, mein Junge.«
Dann drehte er sich um und schlurfte, die überlangen Hosenbeine hinter sich herschleifend, wieder zurück, um auf seiner Kiste Platz zu nehmen.
»Er redet nicht mehr viel«, flüsterte Antonia mir zu, »aber er hört alles.«
Buba stellte Kaffeetassen auf den Tisch. Als sie einschenkte, zitterten ihre Hände, und sie sagte leise: »So etwas wie gestern Nacht dürfen wir nie wieder tun, Pavel. Nie, nie wieder.«
Als habe es erst dieser Worte bedurft, fühlte ich mit einem Schlag, wie mich die Begegnung mit Stephanescu über meine Grenzen hinaus erschöpft und ausgebrannt hatte. Auch Fritz übermannte plötzlich eine erdrückende Müdigkeit, die ihn kaum noch aufrecht sitzen ließ.
»Ich bin fix und fertig«, stöhnte er und verschränkte seine Arme über der Tischkante. Just als sein bleischwerer Kopf nie dersank, durchschnitten die Worte einer glasklaren Stimme die bodenlose Seelenmüdigkeit.
»Wer den Dämon zwingt, sein Gesicht zu zeigen, begibt sich in große Gefahr. Denn sein Anblick macht leer. Er saugt den Menschen aus. Und wenn der Mensch hohl ist, dann schlüpft der Dämon hinein. Wer den Dämon sieht, wird ein anderer.«
Buba bebte am ganzen Leib und schrie: »Onkel Dimi, du machst mir Angst! «
»Buba, wir alle haben Angst«, sprach Dimitru weiter. »Denn wir haben vernichtet. Wir haben heute einen Menschen vernichtet. Dabei ist es gleich, ob er seine Strafe verdient hat oder nicht. Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Doch wir haben es getan. Du, Buba, du, Pavel, du, Fritz. Und ich. Ich habe gesündigt. Ich war der oberste Richter. Ich habe das Urteil über ihn gefällt, vor langer, langer Zeit. Aber ich musste es tun. Und ich würde es wieder tun. Auch wenn es mich auf ewig den Seelenfrieden kostet.«
»Dimitru«, ich flehte den Alten an. »Was sagt du da? Ich verstehe dich nicht! Sprichst du von Stefan Stephanescu? Ja, wir haben ihn vernichtet. Wir haben ihn fertiggemacht. Und es war schrecklich. Und doch würde auch ich
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