Wie die Madonna auf den Mond kam
ertragen. Aber nicht die Worte aus dem Mund Stefan Stephanescus. Der Mann ohne Maske, der nichts mehr verbarg, weckte in Fritz weder Wut noch Hass. Und auch kein Bedürfnis nach Rache. Stephanescu war ihm gleich. Fritz hatte die Augenlider gesenkt und sah sich selbst. Er sah sich als Fünfzehnjährigen, der in einer Kirche auf einem Stuhl steht und ein kleines rotes Licht auslöscht. Fritz betete nie. Doch nun, in der Präsidentensuite des Athenee Palace, bat er Gott um Verzeihung, während aus der Leere meiner Fassungslosigkeit nur die Worte tönten:
»Sie sind ein Teufel.«
»Was weißt du schon? Du weißt nichts! Wie viele Jahre hat dir die Geschichte dieses Landes geraubt? Wie viel tote Lebenszeit verdankst du dem Conducator? Sag mir, wie viele Tage, Monate, Jahre? Ich, ich hätte sie dir geschenkt. Du weißt nicht, dass ich allein dieses Land hätte retten können. Ich, und nur ich! Ich wusste um den Schlüssel zur Macht. Und hätte Heinrich Hofmann diesen Schlüssel nicht aus der Hand gegeben, kein lächerlicher Titan hätte dieses Land in das Reich der Schatten gestürzt. Terror, Erpressung, Furcht. Das waren die Waffen des Conducators. Nur ich hatte den Mut, diese Waffen gegen ihn selbst zu richten. Was zählt da das Leben eines alten Priesters! Eines Spinners, den sogar sein eigener Katholikenverein ignorierte. Als Lupus Leute ihn zur Entsorgung nach Kronauburg brachten, hat ihm der eigene Klerus ein Grab auf dem Domfriedhof geschaufelt, mit irgendeinem Fantasienamen. Was ist das Leben eines Mannes wert, hinter dem nicht einmal die eigene Kirche steht? Was ist es wert gegen die Aussicht, ein ganzes Volk in ein wahres Goldenes Zeitalter zu führen? Das hat mich von Heinrich Hofmann immer unterschieden. Er war nie entflammt vom Willen zur Macht. Er brannte nicht. Er fürchtete sogar eine trinkende Dorflehrerin, ein menschliches Wrack, ein bedeutungsloses Nichts. Sonst hätte er den Schlüssel, der durch das Tor der Macht führte, niemals in ein Pfarrhaus gebracht. Ich musste nach diesen Bildern suchen lassen, die wir mit Angela in Florins Praxis gemacht hatten. Um jeden Preis. Nicht wegen der Barbulescu. Es hätte auch jede andere dieser Frauen sein können. Diese Fotos waren unersetzlich. Auf ihnen war Koka zu sehen. Kapiert endlich! Der nackte Koka in einer schmierigen perversen Szenerie. Deshalb brauchte ich diese Fotos. Damit wäre Koka erledigt gewesen. Er war der Teufel. Aber er wäre ohne Macht geblieben. Mit diesen Fotografien in meinen Händen hätte er niemals aufsteigen können zu dieser Karikatur eines Präsidenten. Ich war der Bessere von uns beiden. Mit mir wäre der Lauf der Geschichte ein anderer geworden. Und dieses Land ein besseres. Und nun wird es ein besseres. In wenigen Stunden bin ich Premier. Und ihr werdet mich nicht aufhalten. Ich habe euch die Wahrheit als Wahrheit verkauft. Aber es wird euch nichts nützen. Ihr werdet sie nur als Lüge verkaufen können. Niemand wird euch glauben. Das Volk ist des Irrsinns müde. Ihr habt keine Zeugen, keine Beweise. Und wenn ich meine Leute beauftrage, dann werdet ihr nicht einmal nachweisen können, dass ihr heute Vormittag überhaupt mit Stefan Stephanescu an diesem Tisch gesessen habt.«
Er langte nach dem Foto mit der Sektflasche, nahm sein Feuerzeug und zündete es an. Wir ließen ihn gewähren. Schwarze Asche schwebte durch die Präsidentensuite, rieselte auf den Teppich wie schwarzer Schnee, in dem Stephanescus Schuhe eine Spur von seinem Sessel zum Barschrank hinterließen. Er öffnete die Tür.
»Aber ich gebe euch eine Chance. Die letzte Möglichkeit, mich zu besiegen. Ich wette fünfzehnhundert Dollars, ihr werdet sie nicht nutzen.« Stephanescu zog eine Pistole hervor und legte sie auf den Tisch. »Greift zu. Ihr könnt mich töten. Aber ihr werdet es nicht tun. Ihr seid zu schwach. Was ist eure Moral wert? Ich werde es euch sagen. Ihr könnt noch nicht einmal einen Teufel töten. Schieß, Hofmann! Erschieß mich. Aber ich sage dir, du kannst es nicht. Du bist wie dein Vater. Schmutzige Fotos zu einem alten Pfarrer bringen, zu mehr reichte sein Mut nicht. Du bist wie er.«
»Ich habe mich geirrt«, sagte Fritz leise. »Ich glaubte, es würde mir Vergnügen bereiten, Ihr Ende zu erleben. Aber das tut es nicht.« Dann sprach Fritz mit klarer Stimme: »Ja. Ich bin wie mein Vater. Auch ich bringe schmutzige Bilder zu einem alten Mann.« Er öffnete seine Fototasche und zog einen braunen Umschlag hervor. »Für Sie, Herr Doktor, ein
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