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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Kommunionbank. Sie knieten nieder, mit herausgestreckter Zunge, doch sie warteten vergebens auf die Hostie. Baptiste verweigerte ihnen den Leib des Herrn. Stattdessen schleuderte er eine Kaskade Weihwasser unter das Kirchenvolk und rief aus: »Und Jesu sprach: Was ihr eurem Nächsten getan habt, das habt ihr mir getan. Und nun geht zu den Zigeunern und denkt über dieses Gebot nach.«
    Noch heute lächelte mein Großvater spitzbübisch, wenn er erzählte, was anschließend passiert war. Die dicke Donata sank, vergeblich gestützt von ihrer jammernden Tochter Kora, vor dem Altar in Ohnmacht. Einige Männer wähnten sich von dem Geistlichen so heftig vor den Kopf gestoßen, dass sie aus der Kirche stürmten und auf der Stelle einen gepfefferten Beschwerdebrief an den Bischof in Kronauburg aufsetzten. Der entrüstete postbote Adamski rief sogar polternd ein Schisma aus und forderte, die ganze Gemeinde solle sich den Reformierten anschließen. Da trat Hermann Schuster aus der Mitte der Aufgebrachten hervor. Er mahnte Ruhe an, und weil er im Dorf ein angesehener Mann war und immer noch ist, kehrte nach einigem Gemurre tatsächlich Ruhe ein.
    » Wir haben zu tun, was unser Herr Pfarrer uns aufgetragen hat. Wir haben unser Kreuz zu tragen, wie auch der Erlöser das Seinige trug.« Niemand wagte es, gegen Schusters Worte anzusprechen. Dann trat Großvater Iljas junge Frau Agneta aus der Tür des familieneigenen Kaufladens. In den Händen hielt sie den goldgelben Topfkuchen, den sie für den nachmittäglichen Kaffeetisch gebacken hatte. Sie schritt durch die Menge und ging schnurstracks zum unteren Teil des Dorfes, dorthin, wo die Zigeuner lagerten. Ilja folgte ihr. Hermann Schuster und seine Frau Erika sowie ein Dutzend Bewohner aus Baia Luna schlossen sich ihnen an, während anderen plötzlich einfiel, eine Kuh sei krank, oder die Frauen meinten, der Sonntagsbraten müsse nun aber schleunigst aus der Backröhre.
    Als Laszlo Carolea Gabor den kleinen Trupp nahen sah, ging er den Leuten langsam entgegen. Agneta überreichte ihm den Kuchen. Eine dicke Träne rann über die Wange des Bulibasha und tropfte in seinen mächtigen Schnauzbart. Dann weinte er hemmungslos. Seine Sippe stand zuerst stumm um den Kuchen herum, bis auch die Männer weinten, dann die Frauen und zuletzt die Kinder, allesamt vergossen sie wahre Sturzbäche an Rotz und Wasser, sodass ihr Freudengeheul bis ans obere Ende des Dorfes drang. Dann schnippte Laszlo Gabor mit den Fingern, und der Tränenstrom versiegte.
    »Schlachtet drei Schafe und bereitet ein Fest!«, befahl er.
    Flugs brach unter der Sippe ein mächtiger Jubel aus, und die Männer wetzten die Messer. Die Zigeuner holten ihre Zimbeln, Fiedeln und Trommeln hervor und zogen mit ohrenbetäubendem Lärm durchs Dorf. Zuerst folgten ihnen, trotz strengsten elterlichen Verbots, die Schulkinder, dann zaghaft die ersten Einheimischen, bis sich die Ungarn dem Tross anschlossen und auch die Sachsen. Schließlich überwog in allen Häusern die Sorge, womöglich nicht Zeuge eines außerordentlichen Ereignisses zu sein.
    Am frühen Nachmittag tanzten alle auf dem Dorfplatz. Mit beglückter Miene und mit segnender Hand schritt Johannes Baptiste umher und spendierte aus dem Keller des Pfarrhauses ein Fass Roten vom Kalterer See und zwanzig Flaschen Obstbrand, die er aus Österreich mit in die Diaspora geschleppt hatte. Allein die Familie Konstantin hockte hinter den Gardinen und leierte den Rosenkranz herunter, bis die Heiserkeit ihre krächzenden Kehlen verstummen ließ.
    Als gegen Mitternacht die letzten Bewohner schwankenden Schrittes, doch gefestigten Glaubens nach Hause zogen und der alte Adamski lauthals verkündete, die Reformierten könnten ihm den Buckel runterrutschen, war man in Baia Luna einer Meinung, es war das schönste Fest, das je im Dorf gefeiert worden war. Die Zigeuner durften bleiben.
    Damit der wunderbare Festtag nicht in den hintersten Kammern der Erinnerung verblasste, verordnete Pater Johannes Baia Luna alljährlich eine beschwerliche Bußprozession. Zur vorbeugenden Läuterung verstockter Herzen. Dazu ließ er auf dem Mondberg eine Holzkapelle errichten. Sie wurde zur neuen Heimstatt für die Madonna vom Ewigen Trost, deren Statue seit Generationen in der Wehrkirche von Baia Luna stand. Künftig sollte die Gottesmutter uns nicht nur an den Sieg der Christenheit über die Muselmanen erinnern, sondern auch vor der Kälte des Gemüts bewahren. Und nichts schien dem Priester dazu besser

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