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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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füllen. Versteh mich nicht falsch. Nichts gegen Zuika und nichts gegen den ehrbaren Beruf des Wirtes, aber du? Du bist zu Höherem fähig. Was sage ich: Du bist berufen! «
    Dimitru ging mir auf die Nerven. Seine Lobhudelei war mir peinlich. Ich hätte gehen sollen. Aber ich tat es nicht und fragte: »Maria. Leibhaftig erschienen? Wie soll das gehen?«
    »Ich wusste es. Du bist gescheit, Junge. Wie kann Maria, die nicht mehr auf Erden weilt, dennoch leibhaftig erscheinen? Das ist die Frage! Man muss sie nur umdrehen, mit dialektischer Logik, verstehst du? Dann heißt es: Wohin muss ein Mensch aufsteigen, um nach seinem Tod wieder zur Erde herabsteigen zu können und sich den Lebenden zu zeigen?«
    Der Zigan tat mir leid. Wie konnte jemand nur so verquer denken? »Ich verstehe nicht, was du willst, Dimitru. Wo ist das Problem?«
    »Pavel, du bist jung. Aber mich quält diese Frage. Und ich sage dir auch, seit wann und warum. Ich vermisse meinen seligen Vater Laszlo. Seit ich den Deckel über seinem Sarg geschlossen habe, will ich nur eines wissen: Wie kann ein Mensch in den Himmel gelangen? Ich meine, nicht nur die Seele, auch der Leib. Die Auferstehung des Fleisches. Ich meine den Menschen als Ganzes.«
    »Das ist unmöglich, Dimitru. Wenn ich die Christenlehre recht verstanden habe, so ist die Auferstehung des Fleisches bislang nur dem Jesus gelungen.«
    »Aber bei der Mutter vom Jesus hat es auch funktioniert.
    Maria wurde auch mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Das hat Papst Pius persönlich verkündet. Wie ging diese Himmelfahrt vor sich? Wie genau? Leib und Seele? Was geschieht damit? Wenn ich das weiß, Pavel, dann weiß ich alles.«
    »Und warum fragst du nicht Johannes Baptiste? Der blickt in dieser Sache mit Sicherheit durch.«
    »Ich habe Papa Baptiste gefragt. >Mein Sohn Dimitru<, hat er gesagt, >um das herauszufinden, braucht es ein ganzes Leben. Vielleicht auch länger.< Aber ich weiß nicht, Pavel, ob ich so viel Zeit habe.«
    Was war schon Zeit? Abgesehen von dem Wunsch nach dem Ende meiner öden Schuljahre, spielte die Zeit in meinem Leben keine sonderliche Rolle. In Baia Luna war das Heute wie das Gestern und wie das Morgen sein würde. Daran änderten auch Margul-Sperbers Propagandaverse nichts. »Wohin dein Blick sich wendet, regt sich das Werden einer neuen Welt.« In Baia Luna regte sich nichts. Jedenfalls nicht für mich.
    Bis zum fünfundfünfzigsten Geburtstag meines Großvaters.
    Ilja hatte die letzte Kubanische vom Vorjahr aufgeraucht und wartete im Laden auf Kundschaft, während meine Mutter Kathalina in der Küche das Mittagessen vorbereitete. Tante Antonia döste noch im Bett. Wie immer würde sie ab und zu einen Arm nach den Nougatpralinen auf ihrer Nachtkonsole ausstrecken, die Schokolade im Munde schmelzen lassen und wieder einschlafen.
    Ich saß in der Schule, wo niemand außer mir ahnte, dass die Frau in dem blauen Kleid uns nie mehr auftragen würde, Hans Bohns Heimatlied über die Schönheit des Karpatenlandes abzuschreiben, ein Land auf dem Weg in eine grandiose Zukunft, in dem »das Heut dem Gestern nicht mehr gleicht«. Bislang schienen mir die Gedichte in den Schulbüchern nur hohles Geschwätz. Nun nicht mehr. Das Heute war nicht mehr wie das Gestern, seit Angela Barbulescu mir den unbegreiflichen Auftrag zugeflüstert hatte: »Schick diesen Mann zur Hölle! Vernichte ihn!«
    Was hieß das? War Barbus Appell eine Aufforderung, den Kronauburger Parteisekretär Stephanescu umzubringen? Das konnte sie unmöglich gemeint haben, das durfte sie niemals verlangen, hatte sie doch im Religionsunterricht immer die Heiligkeit der Zehn Gebote gepriesen. »Du sollst nicht töten.« Das war von allen Sünden die Sünde schlechthin. Das wusste ein halbwegs gescheiter Mensch auch ohne Moses. Bestimmt hatte die Lehrerin von mir keinen Mord verlangt. Das war ausgeschlossen. Sicher, es gab Mittel und Wege, einen Feind ins Jenseits zu schicken und zugleich die eigenen Hände in Unschuld zu waschen. Wenn man an Hexerei glaubte.
    Den Zigeunerinnen sagte man nach, sich auf schwarze Magie zu verstehen. Ich hielt die Zauberei mit pulverisiertem Schamhaar, Menstruationsblut und Katzendreck für Humbug. Dass ich damit richtig lag, hatte mir augenzwinkernd auch Buba Gabor bestätigt, deren Mutter Susanna Gerüchten zufolge zu okkulten Mächten Verbindungen pflegte. »Wir hören den Leuten zu, verstehen ihre Sorgen, kassieren und machen ein bisschen Hokuspokus. Manchmal wirkt er, meistens

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