Wie die Madonna auf den Mond kam
haben.
Sicher trug auch die väterliche und freundschaftliche Beziehung zu Johannes Baptiste dazu bei. Die Bücher, die der Benediktiner bei seiner Ankunft in Baia Luna aus Österreich mitgeschleppt hatte, stellte er im Pfarrhaus einer öffentlichen Bibliothek zur Verfügung, die aber so gut wie nie von den Bewohnern benutzt wurde - und wenn, dann musste man nicht den Priester um Erlaubnis fragen, sondern Dimitru, der im Lauf von zwei Jahrzehnten zum Herrscher über die Bücher avanciert war.
Im Sommer sah man ihn, die Nase in ein Buch gesteckt, auf der grünen Wiese des Pfarrgartens liegen, im Winter dagegen brannte selbst noch zur Nacht in der Bücherei ein Licht, weil sich Dimitru im Schein einer Petroleumlampe irgendwelchen Studien widmete. Um ihm das Lesen zu erleichtern, hatte Johannes Baptiste einen ausrangierten roten Diwan mit warmem Federbett in die Bibliothek stellen lassen.
Dass die Männer aus Baia Luna ihn »den schwarzen Philosophen« riefen, war nicht sosehr Ausdruck von Anerkennung, sondern auf eine gehörige Portion Spott zurückzuführen. Dimitru störte das nicht im Geringsten. Er bediente sich reichlich aus den Töpfen des menschlichen Wissens, probierte hier, naschte dort und mixte schließlich alles nach eigenem Belieben. Die Folgerichtigkeit seiner Gedanken war ihm egal. Für ihn zählte nicht das Entweder-oder, sondern das Sowohl - als-auch. Wenn er sich heillos in logische Ungereimtheiten verstrickte, löste er den Knoten seiner Widersprüche schon tags darauf aus neuer Warte im Nichts auf. Was heute wahr war, konnte morgen falsch sein und umgekehrt. Dimitru lernte die wichtigsten Worte großer Gelehrter auswendig, ohne sich einen Deut um die korrekte Zuordnung von Denkern und Gedanken zu scheren. Den Namen »Schlauschwätzer« hatte Liviu Brancusi ihm verpasst, nachdem Pater Johannes Dimitru einige Brocken aus dem Lateinischen beigebracht hatte. Großvater Ilja hatte seinem Freund geraten, mit solch schwierigen Begriffen nicht allzu oft um sich zu werfen; sie wohldosiert einfließen zu lassen, erzeuge hingegen den Eindruck, es mit einem Mann von Bildung zu tun zu haben. Dimitru beherzigte den Ratschlag, konfusionierte, so eines seiner Lieblingswörter, dabei jedoch des Öfteren.
Wenn Großvater ungestört mit dem Freund plaudern wollte, besuchte er Dimitru in der Bücherei. Als Kind nahm er mich manchmal mit, ließ es aber, weil mir von dem Geruch muffigen Papiers übel wurde. Mit fünfzehn, in den Herbsttagen 1957, verzog ich mich hin und wieder freiwillig in die Bibliothek. Doch anstatt zu lesen, wie Mutter Kathalina glaubte, floh ich vor den häuslichen Pflichten. Dafür nahm ich in Kauf, dass Dimitru mir die Ohren vollquatschte.
Da Johannes Baptiste dem Zigan in der Bibliothek freie Hand ließ, hatte Dimitru die Bücher nach eigenem Gutdünken sortiert. »Ordnung muss sein, Pavel, sonst sieht es hier aus wie bei den Zigeunern in Moldawien.« Freimütig erzählte er mir, dass sein Aufstieg zum Bibliothekar damit begonnen habe, die Bücher aus den Kisten zu packen und in die Regale zu stellen. »Eine Herausforderung«, stöhnte er noch zwanzig Jahre später, »Pavel, eine echte Herausforderung für jeden Mann von Geist. Zuerst habe ich die Bücher nach der Größe geordnet, vom dicken Folianten zum dünnen Erbauungsheftchen, dann nach der Farbe der Buchrücken, von dunkel nach hell. Dann nach dem Jahr ihres Erscheinens. Vorn auf den ersten Seiten sind nämlich die Zahlen gedruckt. Nun stehen die Bücher, wie sie stehen sollen. Alphabetisch, von Augustinus bis Zola. Emilio Zola, davon hast du doch sicher in der Schule gehört.«
»Nein.«
»Was lernt ihr eigentlich bei Fräulein Barbulescu? Zola! Das ist Literatur. Nicht dieses Geschreibsel der Partei trottel in euren Lesebüchern. Dieser Mist. Wie kann ich da meine Buba noch mit ruhigem Gewissen in die Schule schicken! Zola hat übrigens ein Buch über Lourdes geschrieben. Lourdes, kennst du das wenigstens?«
»Nie gehört.«
»Nie gehört! Und das, wo ihr Gadsche dauernd zur Madonna vom Ewigen Trost pilgert. Bei Frost und im Schnee. Welche Dummheit! Ihr Gadsche seid komische Leute. Stupidianten. Warum habt ihr die Gottesmutter nicht im Herzen? Dann könntet ihr euch den Weg sparen. So wie in Lourdes. Da betet man nicht zu einer Holzfigur, da ist die Gottesmutter Maria leibhaftig erschienen. Leibhaftig, Pavel! Weißt du, was das heißt? Darüber solltest du dir mal den Kopf zerbrechen, an statt abends Schnaps in Gläser zu
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