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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Avram Scherban die Wölfe und Bären verfluchen. Weil sie ihm nachts die Schafe reißen. Und weil er sich ohne Flinte gegen die gefräßigen Räuber nicht wehren kann. Weil die Jagd nur den Herren der Partei vorbehalten ist. Avram wird jammern. Und trinken. Zuerst den jungen Silvaner. Eine Kanne und noch eine und noch eine drauf. Dann wollen die Männer Zuika. Geht gut runter, der Gebrannte. Das werden sie alle sagen. Ich muss flitzen, und ihre Reden werden lauter. Sie werden mutiger. Zu allem fest entschlossen. Sie werden über die sinkenden Milch- und Fleischpreise wettern und auf die fortschreitende Entwertung des Geldes schimpfen. Dann haben sie nichts mehr zu lachen, die Genossen, die Kollektivisten. Nieder mit den Roten!, werden die Scherban-Söhne brüllen.
    Und ihr besoffener Vater wird mit den Händen in der Luft rumfuchteln. Rattatata, rattatata. Doch Avram Scherban wird niemanden umlegen. Er kann es gar nicht. Weil er sein Gewehr abgeben musste, weil sie alle Schusswaffen konfisziert haben, die Sesselärsche. Ihren Stolz haben sie den Männern genommen. Das entfacht ihren Zorn. Den müssen sie wegschlucken. Bis sie umkippen. Dann werden sie schlafen. Bis zum nächsten Morgen. Nur dem Hausherrn und Geburtstagskind, meinem Großvater Ilja, würde ein mächtiger Kater erspart bleiben. Er trank nicht.
    Und dafür gab es einen Grund.
    Die Armut lehre zwar das Beten, aber noch mehr das Saufen, sagt man in Transmontanien. Während der schlimmen Hungersnot 1907 war Ilja kurz vor seiner Einschulung, wie die Alten erzählten, in einen der Maischebottiche gefallen, in dem die Bauern des Dorfes faule Kartoffelschalen vergärten. Zum Glück hatten die Schwarzbrenner den Jungen sofort entdeckt und aus dem Schlamm gezogen. Dennoch durchlebte Großvater, vergiftet vom unreinen Spiritus, ein Delirium, aus dem er erst nach Stunden erwachte. Er trug keine sichtbaren Schäden davon, und der Vorfall geriet in Vergessenheit. Nur seine einstige Schulkameradin, die frömmelnde und schwatzsüchtige Witwe Kora Konstantin, pestete gehässig, der Botev habe beim Erlernen der Buchstabenschrift zur Gänze versagt, weshalb sie ganz und gar nicht verstehe, wie so jemand als Kaufmann geradlinig und schuldenfrei über die Runden komme.
    Ich verfügte über genügend Erfahrungen als Schankjunge, um die Boshaftigkeiten der Konstantin im rechten Licht zu sehen. Kora war eine jener Frauen mit andauernd leerer Haushaltskasse und einem halben Dutzend plärrender Blagen, die einst von ihrem Vater mehr Prügel erhielten als Brot. Bis Großvater in der Karwoche '56 gelobte, Raswan Konstantin niemals mehr einen Tropfen auszuschenken, woraufhin der Säufer das ganze Dorf zusammenbrüllte und drohte, er werde Ilja den Hals umdrehen und dieser ganzen Botev-Sippe die Bude abfackeln. Doch dazu kam es nicht.
    Als Kora am Tag der Kreuzigung des Herrn von der kirchlichen Beichte nach Hause zurückkehrte, stürmten ihr die Kinder schreiend entgegen. Raswan lag tot im Hausflur. Man munkelte, sein Hosenlatz habe offen gestanden. In den Händen soll Raswan eine abgegriffene, detailreiche Zeichnung gehalten haben, die Kora auf der Stelle im Ofen verbrannte. Nachdem sie die Kleider des ungeliebten Gatten geordnet hatte, gab sie unter keifendem Gejammer seinen Tod bekannt. Weil im Fall unvorhergesehenen Ablebens die Volkspolizei hinzugezogen werden musste, holte man den jungen Plutonier Cartarescu aus Apoldasch, der als über korrekt galt, sich mit Leichen in Hausfluren aber nicht auskannte und eine Obduktion im Spital von Kronauburg anordnete. Nach einigen Tagen kam der Tote in einem schlichten Fichtensarg mit einem Pferdekarren nach Baia Luna zurück, merkwürdigerweise um einige Pfunde leichter. Als Ursache seines Ablebens wurde Herzversagen festgestellt, ausgelöst durch einen hochaffektierten Erregungszustand. Es hieß, infolge innerer Organwallungen habe Raswans Leber den Herzmuskel zerquetscht, eine Leber im Übrigen, die eigentlich in den Leib eines Ochsen gehört hätte.
    Statt es Großvater hoch anzurechnen, dass er versucht hatte, ihren Raswan vor dem Trinken zu bewahren, ging Kora ihn bei jeder Gelegenheit an. Doch was Iljas Leseschwäche anbelangte, so lag die gehässige Witwe in der Sache nicht falsch. Die Mühlen von Großvaters Verstand drehten sich langsam, auch das logische Denken, mit dem man gemeinhin Zusammenhänge erkennt oder Widersprüche aufdeckt, zählte nicht zu seinen Stärken. Mit Zahlen hingegen hatte Opa niemals Schwierigkeiten.

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