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Wie die Menschheit zur Sprache fand

Titel: Wie die Menschheit zur Sprache fand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Falk
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für das Schreien eines Babys in dem Bestreben zu suchen ist, den Körperkontakt zu einer von ihm getrennten Betreuungsperson wiederherzustellen. 5 Dazu passt, dass Schreien den Greifreflex verstärkt. 6 Harlows Vermutung, dass langes Stillen mehr mit tröstlichem Köperkontakt als mit der Ernährung zu tun hat, findet auch Niederschlag in der beruhigenden Wirkung von Schnullern und Daumenlutschen auf Menschenbabys.
    Ich glaube, dass die Schmusedecken, die unsere heutigen Kinder so lieben, Ersatz für die behaarten Mütterbäuche der Urzeit sind. Die Anhänglichkeit der Äffchen in Bezug auf die weichen Mutterattrappen halte ich allerdings für das Ergebnis der künstlichen Situation des sozialen Entzugs. Menschenbabys haben ihre Fähigkeit, sich aus eigener Kraft festzuhalten, durch das Wirken der Evolution verloren. In gewisser Weise können wir die Hilflosigkeit unserer Säuglinge als Ergebnis eines »Experiments der Natur« betrachten, bei dem der ausdauernde Kontakt zwischen Homininenmüttern und ihren Jungen Schaden genommen hat. 7 Die Mütter der Frühzeit aber waren von ihren Kindern nicht komplett getrennt, wie Harlow es in seinen Versuchen praktiziert hat, und das macht evolutionsgeschichtlich einen großen Unterschied. Bevor wir uns mit diesem entscheidenden Experiment der Frühgeschichte befassen, wollen wir die Evolution selbst betrachten, und hier insbesondere die Frage, wie sie auf Mütter wirkt.

Das Wirken der Evolution
    So sehr Evolutionsbiologen in Einzelfällen uneins sein mögen - die Theorie der natürlichen Selektion, wie sie Charles Darwin und Alfred Russell Wallace Mitte des 19. Jahrhunderts formuliert haben, vertreten sie ohne Wenn und Aber allesamt. Ja man hat derart viele Beweise zugunsten dieser Theorie angehäuft, dass
man sie als Naturgesetz ähnlich der Gravitationstheorie betrachten könnte. Die Vorstellung von einer natürlichen Selektion ist leicht zu begreifen und in ihrer Logik überaus elegant: Alle Arten produzieren mehr Nachwuchs als die vorhandenen Ressourcen tragen können. Diejenigen Individuen, die aufgrund ihrer Anatomie und ihres Verhaltens besser geeignet sind, um die begrenzten Ressourcen zu konkurrieren, überleben und pflanzen sich fort, deshalb formen ihre Gene die künftigen Generationen.
    Die Konkurrenz um beschränkte Ressourcen findet in der Regel im Stillen und jenseits der Bewusstseinsebene statt. Zu den Anpassungen, die das Überleben begünstigen, könnte zum Beispiel ein besonders leistungsfähiges Immunsystem zählen, das seinen Träger vor bestimmten Krankheiten (Pest zum Beispiel oder AIDS) schützt, eine physische Erscheinung, die sich in einer speziellen Umgebung besonders gut anpasst oder das Talent für gelungene Beziehungen. Da solche Merkmale in vielen Fällen genetisch bedingt sind, werden die Nachkommen sie erben. Durch diesen einfachen Mechanismus werden gut angepasste Eigenschaften an künftige Generationen weitergegeben, weniger angepasste hingegen nicht. Wenn dieser Prozess lange genug andauert, kann die natürliche Selektion eine isolierte Population mit der Zeit so weit verändern, dass sich ihre Angehörigen irgendwann nicht mehr mit denen der Population paaren können, zu der sie einst gehört haben: Eine neue Art ist entstanden.
    Der Schlüssel zur natürlichen Selektion ist eine erfolgreiche Fortpflanzung. Um »selektiert« zu werden, reicht es jedoch nicht, wenn ein Tier einfach nur Nachwuchs hat, sondern die Nachkommen müssen sich selbst erfolgreich fortpflanzen. Bei Säugetieren, die ihre Jungen stillen, bedeutet dies, dass Mütter zwar nicht die alleinigen, aber die wichtigsten Wegbereiter für die genetische Zukunft ihrer Art sind. Bringt es ein Säugling zur sexuellen Reife, werden Kopien der Gene seiner Eltern höchstwahrscheinlich den Weg in die nächste Generation finden. 8

    Die natürliche Selektion begünstigt jedes Verhalten, das es dem Individuum oder einer Gruppe ermöglicht, sich erfolgreicher fortzupflanzen als andere. Man bezeichnet solche Verhaltensweisen als reproduktive Strategien, obschon sich Tiere (Menschen eingeschlossen) nicht dessen bewusst sind, dass ihr Verhalten etwas im evolutionären Sinne Strategisches hat. So lässt sich die Entscheidung eines älteren Mannes für eine junge Frau zum Beispiel als Reproduktionsstrategie sehen, denn ihre Fruchtbarkeit erhöht seine

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