Wie die Menschheit zur Sprache fand
afrikanischen Sonne auszusetzen? 11
Es ist unmöglich, diese Hypothesen auseinanderzudividieren, wenngleich sich manche davon mittlerweile durch ein paar neu entdeckte, möglicherweise den Homininen zuzurechnenden Fossilien womöglich überlebt haben. Im Sommer 2002 hat ein französisches Team unter Leitung von Michel Brunet den frühesten bekannten Kandidaten für einen Homininen ausgegraben. Man hat das Fossil im Tschad gefunden. Diese neue Art, Sahelanthropus tchadensis (mit dem Spitznamen Toumai, zu Deutsch etwa »Hoffnung auf Leben«), hat die Paläoanthropologen zum einen wegen ihres Alters überrascht (man schätzt den Fund auf sieben Millionen Jahre), zum anderen, weil sie offenbar in einem dichten Wald gelebt hat und nicht, wie man es erwartet
hätte, in der Savanne. Für diesen mutmaÃlichen Zweibeiner bestand demnach keine Notwendigkeit, sich aufzurichten, um über Gras und Buschwerk blicken zu können, auch wäre massive Sonneneinstrahlung für ihn kein Problem gewesen. Zudem ist kaum anzunehmen, dass Toumai seine nunmehr frei gewordenen vorderen GliedmaÃen dazu benutzt hat, Steinwerkzeuge herzustellen, denn diese tauchen erst drei Millionen Jahre später in Fossilienfunden auf. Dieselben Beobachtungen gelten für einen etwas jüngeren (etwa sechs Millionen Jahre alten) potenziellen Homininen namens Orrorin tugenensis (»Urmensch der Tugen«), der von Brigitte Senut und Martin Pickford im Jahr 2000 in Kenia entdeckt wurde. Die Wissenschaft scheint noch weit davon entfernt, erklären zu können, warum unsere Vorfahren sich für eine zweibeinige Lebensweise entschieden haben.
Wenn auch keine Einigkeit darüber besteht, warum es zum aufrechten Gang gekommen ist, so zeigen die Fossilienfunde doch unzweifelhaft, dass dieser bei einer wichtigen Gruppe unserer frühesten Vorfahren, den Australopithecinen, erstmals vorgekommen sein muss. Der Ãbergang zur zweibeinigen Fortbewegungsweise war jedoch sicher ein langsamer Prozess. Einer der am vollständigsten erhaltenen Funde, der uns dazu Informationen geliefert hat, ist das berühmte 3,2 Millionen Jahre alte Skelett aus Ãthiopien, dem man den Namen Lucy gegeben hat. Obwohl sie ausgewachsen war, maà Lucy nur gut einen Meter. Ihre Becken- und Beinknochen zeigen, dass sie sich auf zwei Beinen fortbewegt haben muss, aber Lucy hatte noch lange affenartige Arme und gekrümmte Fingerknochen, die darauf schlieÃen lassen, dass ihre Art, Australopithecus afarensis, einen Teil ihrer Tage - und vermutlich auch die Nächte - in den Baumwipfeln verbracht haben wird. Die Lage der Muskelansatzstellen an Lucys Beckenknochen legt nahe, dass ihr Gang wohl noch nicht so geschmeidig war wie der eines Menschen. Schimpansen watscheln, wenn sie auf zwei Beinen laufen, vermutlich hat Lucy das auch noch ein bisschen getan.
Trotzdem gleicht Lucys Becken in vielem nicht mehr dem eines Schimpansen. Es ist sehr viel kürzer und an den Seiten leicht nach vorne gewölbt, fast wie bei uns. Der kugelförmige Kopf, der Lucys Oberschenkelknochen mit der Hüftpfanne verband, hat noch einen relativ langen Hals, was vermuten lässt, dass die Verbreiterung des weiblichen Beckens, zu der es im Verlauf der weiteren Evolution kam, bei ihrer Art noch nicht stattgefunden hatte. Die GehirngröÃen von ausgewachsenen und juvenilen Australopithecinen lagen noch in etwa demselben GröÃenbereich wie bei Schimpansen. Das lässt darauf schlieÃen, dass die Weibchen von Lucys Art zwar bereits ein eindeutig für den aufrechten Gang geformtes Becken hatten, ihre Jungen aber noch immer relativ leicht zur Welt brachten, wie wir es auch von den heutigen Menschenaffen kennen. 12 Die langen und schmerzhaften Geburten, die Frauen heute durchleben, da das Zusammentreffen von vergröÃertem Gehirn und engem Becken zwischen Babykopf und mütterlichem Geburtskanal unbeschreiblich wenig Raum lässt, lagen noch in weiter Zukunft. Erst als Babys immer unfertiger und hilfloser auf die Welt kamen, nahm das von Mutter Natur angestoÃene Experiment der systematischen Trennung von Müttern und Kindern seinen Lauf.
Spuren von kleinen langarmigen Kreaturen wie Lucy kann man in fossilen Funden über etliche Millionen Jahre hinweg nachweisen. Das Teilskelett OH 62 aus der Olduvai-Schlucht in Tansania beispielsweise sieht Lucy sehr ähnlich und ist nur 1,8 Millionen Jahre alt (fast anderthalb Millionen Jahre
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