Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
Hab den ganzen Tag an dich gedacht. Ich würde für dich sterben. Reinste Poesie.
» Dich hat’s ja echt erwischt«, bemerkte Colin. Er schwitzte wie ein Schwein, sein Hemd war vorne vom Kragen bis zum Bauch dunkel vor Nässe.
» Ich weiß. Und ich weiß auch, dass es sinnlos ist, aber ich komme einfach nicht von ihr los.«
» Du hast eben noch nicht genug gelitten. Wenn’s dir irgendwann so richtig stinkt, dann kannst du auch Schluss machen.«
Mein Handy bimmelte wieder. Colin schmunzelte.
Liebe dich auch, lautete die Nachricht. Ich steckte das Handy weg. Das kostete mich einige Überwindung, denn ich sah Sophia vor mir, wie sie an ihrem Schreibtisch saß, auf ihr Mobiltelefon schaute und wartete, dass es rappelte. Meins bimmelte, ihres rappelte. Eigentlich gehörten beide Handys ihr, denn sie finanzierte beide.
Wir hatten keine Affäre im üblichen Sinne. Dafür war sie viel zu integer. Das hätte ich von mir auch gern gesagt, aber da Sophia mir bisher nie ein eindeutiges Angebot gemacht hatte, war ich gar nicht so sicher. Zum Teil besteht Integrität wohl einfach darin, dass man sich mit integeren Mitmenschen umgibt, sodass die eigene Rechtschaffenheit nicht auf die Probe gestellt wird.
» Fertig?«, fragte Colin. » Kann’s jetzt losgehen?« Ich folgte ihm an den Tresen, wo eine grauhaarige Frau Desinfektionsmittel in rote und blaue Schuhe sprühte, die vor ihr aufgereiht standen.
» Entschuldigen Sie, möchten Sie Wasser oder Lebensmittel gegen Energie tauschen?« Colin hielt den Akku hoch.
Die Frau sprühte weiter vor sich hin.
» Entschuldigung?«, sagte Colin etwas lauter. Sie blickte nicht einmal auf.
Zwei Bowling-Spieler legten ihre Spielzettel auf den Tresen. Die Grauhaarige ging sofort zu ihnen hinüber und tippte etwas in die Kasse ein.
» Entschuldigen Sie«, sagten wir wie aus einem Munde, als sie dann direkt an uns vorbeiging und ihren Kampf mit den stinkenden Schuhen wieder aufnahm. Colin und ich schauten uns an.
» Hallo?!«, rief ich. Keine Reaktion. Ich schaute mich nach Zeugen um. Vier Leute, offensichtlich zwei Pärchen, wandten den Blick ab, als ich zu ihnen hinübersah. Eine der Frauen machte eine Bemerkung, und die anderen lachten.
» Deutlicher geht’s doch nicht!«, rief jemand von einer der weiter entfernten Bahnen.
Mein Herz wummerte. » Hören Sie, wir haben acht weitere Menschen zu versorgen. Die verhungern und verdursten fast. Wir wollen ja keine Almosen, bloß einen fairen Tausch.«
Ungerührt besprühte die Alte das nächste Paar Schuhe.
» Komm, Jasper, wir gehen«, sagte Colin.
Als wir uns von ihr abwandten, bimmelte mein Handy. Ich hielt inne und drehte mich noch einmal zu ihr um.
» Fick dich doch ins Knie, du hässliches altes Stück Scheiße«, knurrte ich. Mit einem hämischen, selbstgerechten Grinsen schüttelte die Frau den Kopf, sah mich aber nicht an.
Der Weg über den mit Kaugummiflecken gesprenkelten Teppichboden bis zur Tür war lang. Plötzlich war ich so verlegen, dass ich kaum noch laufen konnte– ein Bein schien länger als das andere zu sein, und meine Hände waren mir zu groß.
» Verdammte Zigeuner!«, rief jemand, als die Tür hinter uns zufiel.
Draußen kam ein Typ auf einem Mountainbike angefahren. Er bremste mit einem Fuß, brachte das Fahrrad schlitternd vor uns zum Stehen, wuchtete seine Bowlingtasche von der Schulter und ignorierte uns dabei völlig.
Mein Handy bimmelte wieder.
» Nur zu«, sagte Colin, » mir macht das nichts aus.«
Was tust du grad?, stand auf dem Display.
Ich rief Sophia an und erzählte ihr, was passiert war. Sie weinte für mich und erklärte, sie liebe mich sehr und ich solle mir das nicht zu Herzen nehmen, ich sei einfach ein ganz wunderbarer Mensch in einer schwierigen Situation. Sofort fühlte ich mich etwas besser. Sophia schaffte es immer, dass man sich besser fühlte. Als ich sie zum ersten Mal sah, in Savannah unten am Fluss, verteilte sie Weihnachtsgeschenke an Kinder von illegalen Einwanderern. Ich koordinierte eine Tuberkulose-Impfung für die Kinder, aber ich wurde dafür bezahlt.
Wenn etwas Schlimmes passierte, war immer mein erster Gedanke, Sophia anzurufen. Ich weiß nicht warum– neben ihrem Job und ihrem Mann hatte sie ja eigentlich nicht die Zeit, auch noch mich zu trösten.
Wie blickt man in die Zukunft, wenn man sie mit einem Partner verbringen will, den man nicht liebt? Das war mir ein Rätsel. Und ich war höllisch frustriert, weil Sophia ihren Mann nicht verlassen wollte– er
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