Wie ein einziger Tag
wurden dieselben breiten Schultern sichtbar, an die sie sich so gut erinnerte, die schmalen Hüften, der muskulöse Oberkörper. Er war braun gebrannt, als hätte er den ganzen Sommer im Freien gearbeitet, nur sein Haar war etwas lichter und heller, als sie es in Erinnerung hatte. Als sie sich halbwegs gefaßt hatte, holte sie tief Luft und lächelte:
»Hallo, Noah. Schön, dich wiederzusehen.«
Diese Art der Begrüßung verblüffte ihn, und er starrte sie mit ungläubigen Augen an. Dann schüttelte er langsam den Kopf, und ein Lächeln spielte um seine Lippen. »Dich auch…«, stammelte er. Er führte die Hand ans Kinn, und sie bemerkte, daß er nicht rasiert war. »Bist du's wirklich? Ich kann es nicht glauben…«
Sie bemerkte den Schock in seiner Stimme und war selbst ganz verwirrt - hier zu sein, ihn zu sehen… Sie verspürte etwas Seltsames in ihrem Innern, etwas Tiefes und Altes, etwas das sie für eine Sekunde fast schwindelig machte.
Sie versuchte, die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. Sie hatte nicht erwartet, daß so etwas geschehen würde, hatte es auch nicht gewollt. Sie war verlobt. Sie war nicht hergekommen, um… und doch…
Und doch…
Und doch wollte das Gefühl nicht vergehen, wie sehr sie sich auch dagegen wehrte, und für einen kurzen Augenblick fühlte sie sich wieder wie mit fünfzehn. Fühlte sich wie seit langen Jahren nicht mehr, als könnten all ihre Träume doch noch wahr werden.
Sie hatte das Gefühl, endlich heimgekehrt zu sein.
Ohne ein weiteres Wort gingen sie die letzten Schritte aufeinander zu, und als wäre es die natürlichste Sache von der Welt, schloß er sie in die Arme, zog sie fest an sich. Sie hielten sich eng umschlungen und machten im Licht der sich neigenden Sonne die vierzehn Jahre der Trennung ungeschehen.
Sie hielten sich eine lange Weile umschlungen, bis Allie sich schließlich aus der Umarmung löste, um ihn anzusehen. Aus der Nähe sah sie die Veränderungen, die sie zunächst nicht bemerkt hatte. Er war jetzt ein Mann, und seine Züge hatten die Weichheit der Jugend verloren. Die kleinen Falten um seine Augen hatten sich tiefer gegraben, und an seinem Kinn war eine Narbe, die damals nicht da gewesen war. Er wirkte entschlossener, reifer, auch vorsichtiger als früher, doch die Art, wie er sie eben in den Armen gehalten hatte, machte ihr klar, wie sehr er ihr all die Jahre gefehlt hatte.
Tränen verschleierten ihre Augen, als sie schließlich voneinander ließen. Sie lachte nervös und wischte sich rasch mit dem Handrücken über die Augen.
»Alles in Ordnung?« flüsterte er, tausend andere Fragen auf seinem Gesicht.
»Entschuldige, ich wollte nicht weinen…«
»Laß nur«, sagte er lächelnd. »Ich kann noch immer nicht glauben, daß du es bist. Wie hast du mich gefunden?«
Sie schaute zu Boden, versuchte, die Fassung wiederzugewinnen, und wischte die letzten Tränen fort.
»Ich habe den Artikel über dein Haus in der Zeitung gelesen und wollte dich sehen.«
»Ich bin froh, daß du gekommen bist«, sagte er mit einem Lächeln. Er trat einen Schritt zurück. »Laß dich anschauen. Du siehst phantastisch aus. Noch hübscher als damals.«
Sie spürte, wie sie rot wurde. Wie vor vierzehn Jahren.
»Danke. Du schaust auch gut aus.« Und das war nicht gelogen. Die Jahre hatten ihn nicht zu seinem Nachteil verändert, im Gegenteil.
»Und was hast du vor? Warum bist du hier?«
Seine Fragen brachten sie in die Gegenwart zurück. Sie begriff, was geschehen könnte, wenn sie sich nicht in acht nahm. Sei auf der Hut, sagte sie zu sich. Je länger es dauert, um so schwerer wird es werden. Und das wollte sie nicht.
Aber, Gott, diese Augen. Diese sanften dunklen Augen.
Sie wandte sich zur Seite, holte tief Luft und überlegte, wie sie es sagen sollte, und als sie schließlich antwortete, war ihre Stimme gefaßt. »Noah, bevor du einen falschen Eindruck bekommst - ich wollte dich Wiedersehen, aber es geht mir um mehr.« Sie hielt einen Augenblick inne. »Ich bin aus einem ganz bestimmten Grund hier. Ich muß dir etwas sagen.«
»Und? Was?«
Sie wich seinem Blick aus, blieb eine Weile stumm, selbst überrascht, daß ihr die Antwort nicht über die Lippen kommen wollte. Und während ihr Schweigen andauerte, verspürte Noah ein unbehagliches Gefühl im Magen. Wie immer die Antwort lauten würde, für ihn wäre sie schlecht.
»Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Ich dachte zuerst, es wäre nicht schwer, aber jetzt…«
Plötzlich durchschnitt der
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