Wie ein einziger Tag
Schrei eines Waschbären die Abendluft, und Clem kam laut bellend aus ihrer Hütte unter der Veranda hervor. Beide drehten sich um, und Allie war dankbar für die Ablenkung. »Ist das deiner?« fragte sie.
Noah nickte und spürte noch immer das dumpfe Gefühl in der Magengegend. »Es ist übrigens eine Sie. Sie heißt Clementine. Ja, sie gehört mir.« Beide beobachteten, wie sich die Hündin schüttelte und streckte und dann hinkend in die Richtung trabte, aus der die Geräusche gekommen waren.
»Was ist mit ihrem Bein?« fragte Allie, um Zeit zu gewinnen.
»Ein Autounfall vor ein paar Monaten. Doktor Harrison, der Tierarzt, rief mich an und fragte, ob ich sie nehmen würde. Der Besitzer wollte sie nicht mehr. Sie war übel zugerichtet und hätte eingeschläfert werden müssen.«
»So warst du schon immer«, sagte sie und versuchte sich zu entspannen. Sie schwieg eine Weile und schaute an ihm vorbei zum Haus hinüber. »Es ist wunderschön geworden, geradezu vollkommen, genau so, wie ich es mir damals nach deinen Beschreibungen vorgestellt habe.«
Er folgte ihrem Blick und fragte sich, was all das belanglose Gerede sollte, was es war, das ihr so schwer auszusprechen fiel.
»Danke. Aber es war harte Arbeit; ich weiß nicht, ob ich's ein zweites Mal tun würde.«
»Sicher würdest du das«, sagte sie. Sie wußte genau, was das Haus für ihn bedeutete, was vieles ihm bedeutete -jedenfalls hatte sie es vor langer Zeit gewußt.
Und bei diesem Gedanken wurde ihr klar, wieviel sich seither geändert hatte. Sie waren heute zwei Fremde; sie brauchte ihn nur anzuschauen. Vierzehn Jahre waren eine lange Zeit. Zu lang.
»Was ist, Allie?« Er sah sie fragend an, doch sie hielt den Blick weiter auf das Haus gerichtet.
»Ich bin ganz schön albern, was?« meinte sie und versuchte zu lächeln.
»Wie meinst du das?«
»Naja, alles. Wie ich hier aus heiterem Himmel auftauche, nicht weiß, was ich sagen soll. Du mußt mich für verrückt halten.«
»Du bist nicht verrückt«, sagte er sanft. Er ergriff ihre Hand, und sie ließ es geschehen, während sie nebeneinander standen. »Auch wenn ich nicht weiß, warum«, fuhr er fort, »sehe ich, daß es dir schwer fällt. Was hältst du von einem Spaziergang?«
»So wie damals?«
»Warum nicht? Ich denke, es wird uns beiden guttun.«
Sie zögerte und schaute zu seiner Eingangstür. »Mußt jemandem Bescheid geben?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, da ist sonst niemand. Nur Clem und ich.«
Trotz ihrer Frage war sie fast sicher gewesen, daß es niemand anderen gab, und doch wußte sie nicht, was ihr das bedeutete. Sie wußte nur, daß es ihr jetzt noch schwerer fallen würde, zu sagen, was sie zu sagen hatte. Es wäre leichter gewesen, wenn es jemand anders gegeben hätte.
Sie gingen zum Fluß und bogen dann in den Uferweg ein. Sie ließ seine Hand los und hielt den nötigen Abstand, um eine zufällige Berührung zu vermeiden.
Er schaute sie von der Seite an. Sie war noch immer hübsch mit ihrem vollen blonden Haar, ihren sanften smaragdgrünen Augen, und sie bewegte sich so anmutig, als schwebe sie. Dabei hatte er in seinem Leben viele attraktive Frauen gesehen, Frauen, die seine Aufmerksamkeit erregt hatten, doch in seinen Augen fehlten ihnen die Eigenschaften, die ihm am wichtigsten waren. Eigenschaften wie Intelligenz, Selbstvertrauen, Charakterstärke, Leidenschaft, Eigenschaften, die den anderen anregten, Eigenschaften, die ihm als Vorbild dienten.
Allie besaß all diese Eigenschaften, das wußte er, und während sie jetzt dahinschlenderten, konnte er sie unter der Oberfläche spüren. »Ein lebendes Gedicht«, das waren stets die Worte gewesen, die ihm in den Sinn kamen, wenn er Allie anderen zu beschreiben suchte.
»Seit wann bist du wieder hier?« fragte sie, als der Pfad in einen kleinen grasbewachsenen Hügel mündete.
»Seit letztem Dezember. Ich hab' eine Weile im Norden gearbeitet, dann war ich drei Jahre in Europa.«
Sie blickte ihn fragend an.
»Im Krieg?«
Er nickte stumm, und sie fuhr fort:
»Das hatte ich mir gedacht. Ich bin froh, daß du heil zurückgekehrt bist.«
»Ich auch«, sagte er.
»Bist du glücklich, wieder in der Heimat zu sein?«
»Ja, sicher. Meine Wurzeln sind hier. Und hier gehöre ich hin.« Er hielt inne. »Aber was ist mit dir? « Er fragte ganz leise, war auf das Schlimmste gefaßt.
Ein langer Augenblick verging, bis sie schließlich antwortete.
»Ich bin verlobt.«
Er schaute zu Boden, als sie es sagte, und fühlte,
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