Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
zwischen ihnen vorgefallen. Diese Vorstellung quälte Banner gar nicht. Jake wusste, dass Lydia Ross mit ihrem ganzen Wesen geliebt hatte. Er hatte Ross ja selbst geliebt, und es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, etwas zu tun, was Lydia oder die Erinnerung an Ross beleidigt hätte.
Aber für Banner war es deshalb nicht weniger schmerzhaft zu wissen, dass Jake sich nach dem Unerreichbaren sehnte. Am Abend von Lydias Abreise war er mürrisch und zutiefst niedergeschlagen gewesen. Stundenlang hatte Banner ihn draußen am Zaun beobachtet, wie er in die Dunkelheit hinausgestarrt hatte, als sehne er sich danach, sie zu durchbohren und einen Blick auf Lydia zu werfen.
Armer Jake. Welche Ironie des Schicksals! Er hatte die Tochter nur wenige Stunden, bevor die Mutter, die er wirklich wollte, wieder zur Verfügung stand, geheiratet. Wie er das Schicksal jetzt verfluchen musste!
Plötzlich war auch Banner wütend auf das Schicksal. Es hatte auch ihr übel mitgespielt. Und dies schon zum zweiten Mal.
Nun gut, sie war es leid, immer die Zielscheibe für die schlechten Witze des Schicksals abzugeben. Sie war auch Jakes langes, sorgenvolles Gesicht leid. Und sie war seiner heuchlerischen Plattheiten überdrüssig bis zum Erbrechen.
»Wie fühlst du dich, mein Liebling?«
»Du siehst müde aus. Warum legst du dich nicht ein wenig hin?«
»Geht es dir auch wirklich gut? Du siehst so blass aus.«
Sie wollte das nicht! Sie konnte und wollte nicht für den Rest ihres Lebens mit jemandem zusammenleben, der sich nach einer anderen Frau sehnte. Schon einmal hatte sie ihm gesagt, dass sie keinem Märtyrer am Kamin gegenübersitzen wollte. Und im Bett wollte sie, verdammt noch mal, auch keinen haben. Wenn er Lydia nicht haben konnte, sollte er sich einen anderen Ersatz für sie suchen. Banner Coleman würde jedenfalls nicht dafür herhalten!
Sie sprang vom Fenstersitz, rannte zur Schlafzimmertür und riss sie auf. Ohne ein Umschlagtuch oder einen Morgenmantel überzuziehen, raste sie die Treppe hinunter, ihr weißes Nachthemd zog sie wie eine Schleppe hinter sich her.
Banner hatte zusehen müssen, wie ihre Mutter den Mann, den sie liebte, in der kalten Erde zurückgelassen hatte. Da war ihr klar geworden, dass Lydia nicht bleiben und sich jeden Tag das frische Grab anschauen konnte. Es erinnerte ständig an die Realität, die zu schmerzlich war, um sie zu ertragen.
Banner wollte den Mann, den sie liebte, auch nicht verlassen. Es wäre, als schnitte sie sich das Herz heraus und ginge davon, während es noch schlug. Aber sie musste ihn verlassen, bevor sie ihr eigenes Leben opferte. Sie konnte nicht sanftmütig danebenstehen und zusehen, dass er ihre Mutter liebte, bis sie alle alt waren. Was für ein elendes Leben würde das sein? Wann würde der Unmut einsetzen? Wann würde er anfangen, sie zu hassen? Oder – noch schlimmer – sie zu bemitleiden, wenn ihr Körper von ihrem Kind schwer und unförmig würde?
Nein! Das ließ ihr Stolz nicht zu. Sie hatte ihm nachgestellt, sich ihm zu Füßen geworfen, ihn angebettelt, aber damit war jetzt Schluss. Nie wieder würde sie eine solche Demütigung auf sich nehmen! Sie konnte ihn nicht dazu bringen, sie zu lieben. Keine Macht der Erde brächte das fertig. Besser, sie ließ jetzt von ihm ab, statt Jahre in vergeblichem Bemühen zu vergeuden.
Keuchend vor Anstrengung, rannte sie auf ihn zu. Er hörte sie, bevor sie ihn am Ärmel packte und zu sich herumriss. Überrascht blinzelte er. Ihr Nachthemd leuchtete in der Dunkelheit wie das Segel eines Geisterschiffes. Das Mondlicht fing sich in ihren Augen und ließ sie wie Katzenaugen in der Nacht funkeln. Ihr Haar bildete einen wilden Kranz um ihren Kopf, es kringelte und lockte sich wie eine schwarze Flamme. Sie sah aus, als wäre sie nicht von dieser Welt, sondern eine schöne und zornige Göttin aus der griechischen Mythologie.
»Geh ihr nach, wenn du sie begehrst«, rief sie. »Ich werde dich nicht aufhalten. Ich liebe dich. Ich will dich. Aber nicht so. Ich will nicht neben dir im Bett liegen, und du sehnst dich nach einer anderen. Verschwinde einfach!«
Sie wirbelte herum und wollte zum Haus zurückmarschieren, wurde aber aufgehalten, weil er sie plötzlich am Nachthemd packte. »Lass mich los!«
»Nein«, sagte er und zog sie rückwärts zu sich heran. »Es wird Zeit, dass dir jemand einen Denkzettel verpasst, Prinzessin Banner. Du hast diesen Kampf angefangen, und jetzt wirst du ihn, bei Gott, auch bis zum Ende
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