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Wie ein stummer Schrei

Wie ein stummer Schrei

Titel: Wie ein stummer Schrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dinah McCall
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war oder wem er vor den Kopf stoßen musste.

5. KAPITEL
    N ach drei Tassen Kaffee und drei Kopfschmerztabletten fühlte sich Trey bereit für alles, was dieser Tag mit sich bringen würde. Als er in seinen Wagen stieg, fielen ihm jedoch die Kaugummiverpackungen und der leere Pappbecher auf dem Boden ebenso auf wie der feine Staubfilm, der das Armaturenbrett überzog. Unwillkürlich musste er daran denken, wie viel Eleganz Marcus Sealys Haus ausstrahlte, und er konnte sich gut vorstellen, welches Gesicht der alte Mann machen würde, wenn er dieses Wageninnere zu sehen bekam. Abermals würde er anhand von Äußerlichkeiten über Trey urteilen, und abermals würde er ihn für nicht standesgemäß halten.
    Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihm, dass nicht genug Zeit dafür blieb. Trotzdem stieg er aus, um Wasser und einen Lappen zu holen. Einen Augenblick später hielt er inne.
    Der Wagen war so verstaubt, weil er über unbefestigte Wege zu dem Haus gefahren war, in dem man die Kinderleiche gefunden hatte. Der Kaugummi und ein Kaffee waren alles gewesen, was er zu sich hatte nehmen können, seit er von dort wieder abgefahren war.
    Es wurde Zeit, sich über eine Sache klar zu werden. Was die Sealys von ihm hielten, war nicht länger wichtig. Er nahm den Becher und die Verpackungsfolien, drückte alles in das Ablagefach in der Fahrertür, dann schrieb er mit dem Zeigefinger ‘Mach mich sauber’ in die Staubschicht. Als er aus der Einfahrt fuhr, winkte er seiner Nachbarin zu, der einundachtzig Jahre alten Ella Sumter, die im Vorgarten Tai Chi praktizierte und ihm einen Handkuss zuwarf, den er mit einem Grinsen quittierte.
    Auf dem Weg zum Anwesen der Sealys stellte Trey fest, dass er sich bereits deutlich besser fühlte. Heute in einer Woche würde dieser Fall hoffentlich abgeschlossen sein, und vermutlich würde er keinen der beiden je wiedersehen. Bis dahin musste er immer daran denken, dass er derjenige war, der das Sagen hatte.
    Olivia stand vor dem großen Spiegel in ihrem Schlafzimmer und betrachtete das Kleid, das sie trug. Im nächsten Moment landete es bei den vier anderen, die bereits auf dem Bett lagen. Gerade wollte sie das nächste aus dem Schrank holen, als ihr bewusst wurde, wie unwichtig es war, was sie trug. Es sollte sie nicht kümmern, wie Trey Bonney über sie dachte. Schließlich holte er sie nicht ab, um mit ihr auszugehen. Stattdessen würde er mit ihr zu einem kriminaltechnischen Labor fahren, wo man ihre DNS testen sollte, um festzustellen, ob sie wirklich Olivia Sealy war!
    Sie setzte sich auf die Bettkante und hielt sich die Hände vors Gesicht, während sie gegen die Tränen ankämpfte. Grampy sollte nicht erfahren, wie sehr ihr das alles zu schaffen machte. Noch weniger wollte sie aber Trey Bonney wissen lassen, wie verwundbar sie geworden war.
    Allmählich gewann der Ärger über ihr eigenes Verhalten die Oberhand, und schließlich stand sie auf und ging wieder zum Kleiderschrank. Diesmal dachte sie nicht darüber nach, ob es Trey gefallen würde, was sie trug. Ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen, ging sie aus dem Zimmer, sobald sie fertig angezogen war.
    Marcus war in seinem Zimmer, als er Olivia vorbeigehen hörte. Ihre Schritte klangen fest und entschlossen und vermittelten einen völlig anderen Eindruck als am Abend zuvor, als seine Enkelin in Tränen aufgelöst den Esstisch verlassen hatte. Zufrieden lächelte er, denn das war Olivia, wie er sie kannte.
    Er betrachtete sein Spiegelbild, zog leicht am Kragen und korrigierte den Sitz seiner Krawatte, dann nahm er seine Brieftasche von der Kommode und folgte seiner Enkelin nach unten.
    Gerade hatte er ihr einen guten Morgen gewünscht, da klingelte es an der Tür. Rose kam aus einem anderen Flügel des Hauses nach vorn geeilt, aber Olivia war nicht in der Stimmung, sich mit Etikette aufzuhalten.
    “Ich mache auf”, rief sie und ging mit hoch erhobenem Kopf zur Tür.
    “Ich bin gleich bei dir”, erwiderte Marcus. “Ich muss noch kurz mit Rose sprechen.” Dann ging er weg und überließ es Olivia, sich um den Besucher zu kümmern.
    Dass sie mit einem Mal auf sich gestellt war, änderte nichts an ihrer Absicht. Sie öffnete die Tür und sah vor sich den Mann, der in ihr Leben zurückgekehrt war und ihre Welt ins Chaos gestürzt hatte.
    Dass Olivia die Tür öffnete, war für Trey überraschend und überwältigend zugleich, da er im nächsten Moment wusste, was sie unter diesem atemberaubenden Kleid trug – nämlich nichts

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