Wie ein stummer Schrei
weigerte, ihren gesellschaftlichen Status ernst zu nehmen, und der sie trotzdem geliebt hatte, steckte nach wie vor in ihm.
Diese Erkenntnis erinnerte sie aber auch daran, warum ihre Beziehung letztlich gescheitert war und sie die Liebe ihres Lebens verloren hatte: Es war genau diese unterschiedliche Herkunft, gepaart mit ihrer eigenen Unfähigkeit, sich gegen ihren Großvater durchzusetzen.
Doch sie wollte nicht länger darüber nachdenken, was vielleicht hätte sein können, schloss die Augen und lehnte sich nach hinten, als auf einmal ihr Großvater ihre Hand drückte.
“Olivia, Darling, es wird alles gut ausgehen”, versicherte er ihr.
“Das weiß ich, Grampy. Mach dir keine Sorgen um mich.”
Trey sah nur kurz in den Rückspiegel, um zu vermeiden, dass die beiden den Eindruck bekamen, er würde sie beobachten. Vom ersten Tag an war Olivia für ihn unerreichbar gewesen. Er hatte das nur nicht erkannt, weil er damals zu jung war. Doch dieser naive Teenager gehörte seit langem der Vergangenheit an, und er war inzwischen klug genug, sich nicht noch einmal das Herz brechen zu lassen.
“Übrigens, Mr. Sealy”, sagte er über die Schulter. “Die Telefonnummer, die Sie mir gegeben haben, war die Richtige. Ich habe gestern Nachmittag mit der Frau von Terrence gesprochen. Die beiden werden in Kürze für einen DNS-Test herkommen.”
Im Rückspiegel sah er Marcus’ wutentbrannten Gesichtsausdruck, und sofort legte er nach: “Sieht so aus, als würde Ihnen diese Neuigkeit nicht gefallen. Darf ich fragen, woran das liegt?”
Es dauerte einige Sekunden, ehe Marcus mit schroffem Tonfall antwortete: “Terrence und ich sind nie gut miteinander ausgekommen. Einen Grund dafür gab es nicht, wir haben uns einfach nicht verstanden.”
Schweigend fuhren sie weiter, bis auf einmal Marcus’ Mobiltelefon klingelte. “Entschuldigung”, murmelte er. “Ich habe vergessen, das Ding abzustellen.” Er sah auf das Display. “Das ist mein Büro, ich werde den Anruf besser annehmen.”
Olivia nickte, dann wandte sie sich ab und sah in Gedanken aus dem Seitenfenster. Auf einmal merkte sie, dass ihr Großvater das Gespräch beendete.
“Ja, ich komme so schnell wie möglich”, hörte sie ihn noch sagen, dann unterbrach er die Verbindung und steckte das Telefon weg. “Detective Bonney, wie lange wird dieser Test dauern?”
“Nicht lange. Gibt es Probleme?”
“Seit gerade eben. Ich muss ins Büro, sobald dieser Test erledigt ist. Ich darf annehmen, dass Sie Olivia nach Hause bringen?”
“Grampy”, warf sie ein. “Ich bin kein kleines Kind. Ich kann ein Taxi nehmen.”
“Nein, Ma’am”, widersprach Trey. “Ich habe Sie abgeholt, ich werde Sie auch wieder nach Hause zurückbringen. Das gehört zu meinem Job.”
“Gut, dann wäre das geklärt”, meinte Marcus zufrieden und entspannte sich.
Für ihn hatte sich ein Problem erledigt, aber für Olivia war ein schwerwiegendes dazu gekommen. Solange ihr Großvater anwesend war, hatte sie keine Schwierigkeiten damit, die Distanz zu Trey zu wahren, da sie vortäuschen konnte, ihn gar nicht zu kennen. Durch die Änderung im Plan war das nun aber nicht mehr der Fall. Dennoch war sie entschlossen, ihn nicht zu nah an sich heran zu lassen. Elf Jahre waren eine lange Zeit, um über eine falsche Entscheidung hinwegzukommen, auch wenn sie inzwischen zu glauben begann, den größten Fehler ihres Lebens gemacht zu haben.
Sie kämpfte noch immer mit ihren Gefühlen, als sie das Labor erreichten. Ihnen allen war sofort klar, dass etwas nicht stimmte, denn vor dem Gebäude standen zwei Lastwagen, auf denen die Logos von privaten TV-Sendern prangten, und ein Schwarm Reporter mit Kameraleuten hatte vor dem Eingang Stellung bezogen. Etwas abseits stand ein Mann, der ein Plakat mit der Aufschrift ‘Kindermörder’ hochhielt.
“Oh, verdammt”, fluchte Trey. “Ich möchte wissen, wer da etwas hat durchsickern lassen!”
“Was ist denn hier los?” rief Marcus aufgebracht.
“Sie bleiben im Wagen”, wies Trey die beiden an. “Ich werde die Truppe verscheuchen.”
Aus dem Augenwinkel sah Olivia, wie er nach dem Funkgerät griff und Verstärkung anforderte. Zu ihrem Entsetzen machte einer der Reporter sie durch das Seitenfenster aus, woraufhin sich die ganze Meute in Bewegung setzte und auf den Wagen zusteuerte. Auch der Mann mit dem Plakat drängte sich nach vorn und drückte das Schild gegen das Fenster.
Olivia sah den irren Ausdruck in den Augen dieses Mannes und
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