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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
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spielen. Ihre Finger schwebten förmlich über die Tasten, und Clementis Melodien füllten den Salon.
    Nach einer Weile drehte sie sich zu William um. «Das klingt hübsch, finden Sie nicht auch? Es wirkt überschwänglich, aber ohne tiefere Bedeutung. Und genauso stelle ich mir Shakespeare vor. Bei ihm ist alles Ausdruck. Er verwendet Schwarz und Weiß. Sonst nichts.»
    Beinahe wären ihm in diesem Moment Tränen in die Augen gestiegen, ohne dass er einen Grund dafür hätte nennen können. «Würden Sie vielleicht noch ein wenig spielen?»
    Die Musik glitt über Marys Eltern hinweg, ohne die geringste Reaktion hervorzurufen. William dagegen war tief bewegt. In seinem Elternhaus gab es keine Musik. Er kannte lediglich die Melodien, die in Vergnügungsgärten und Gasthäusern gespielt wurden. Diese Musik hier war etwas ganz anderes, sie kam aus einer anderen Sphäre. Sie verstärkte das Bild, das er sich von Mary gemacht hatte.
    Plötzlich trommelte es laut gegen die Haustür. Mary erhob sich rasch vom Piano und ging in die Diele. Mr Lamb erwachte und wollte von seiner Frau wissen: «Wie viele Säcke müssen noch in die Mühle?»
    William empfand sich plötzlich als Fremder in diesem Haus. Er war zum ungebetenen Gast geworden. Aus der Diele drangen Stimmen zu ihm herein.
    «Schwesterherz, ich habe meine Schlüssel verloren.»
    «Was ist passiert?»
    «Man hat mir einen Hieb versetzt.»
    «Einen Hieb?»
    «Dieser Schuft hat mir die Uhr geklaut und ist dann abgehauen. Schau doch mal meinen Kopf an. Blutet er?»
    Mrs Lamb warf William einen wütenden Blick zu und erhob sich aus ihrem Sessel. «Charles, was ist denn nun wieder los?»
    «Man hat mich ausgeraubt, Mama.» Charles trat mit triumphierender Miene – jedenfalls kam es William so vor – ins Zimmer. «Ach, Mr Ireland. Sie habe ich ja ganz vergessen. Bin entzückt, Sie wiederzusehen. Wie Sie sehen, wurde ich aufgehalten.»
    «Charles, bist du verletzt?»
    «Nein, Mama, ich glaube nicht. Mary, hast du das Buch gesehen?»
    «Charles, was hat man dir gestohlen?»
    «Meine Uhr, Mama, sonst nichts.»
    Mary trat zu ihrer Mutter. «Es ist nichts. Charles geht es ganz gut. Beruhige dich.» Sie drückte sie wieder in den Sessel. «Er ist unverletzt. Nur seine Uhr ist weg.»
    Mr Lamb war erneut eingenickt.
    Charles setzte sich neben William. «Ich bin mit Freunden essen gewesen, sonst hätte ich unsere Verabredung nicht vergessen. Und dann ist das passiert.» Seine Stimme klang vielleicht eine Spur herablassend.
    «Das ist völlig unwichtig, Mr Lamb. Ihre Eltern und Ihre Schwester waren sehr gastfreundlich. Wir haben ein wenig Musik gehört. Sind Sie wirklich ganz in Ordnung?»
    Charles tat diese Frage mit einer Handbewegung ab. «Musik? Sie Glückspilz. Und hier haben wir natürlich das Buch.» Er nahm die Pandosto -Ausgabe vom Beistelltischchen, wo sie Mary abgelegt hatte.
    «Ganz genau.»
    «Darf ich?»
    «Es gehört Ihnen. Ihre Schwester hat den ausstehenden Betrag beglichen.»
    «Und wie hat sie das gemacht?»
    «Das entzieht sich meiner Kenntnis.»
    «Meiner nicht. Unsere Großtante hat ihr eine kleine Jahresrente hinterlassen. Sie hebt sie von der West Lothian Bank in der Seething Lane ab. Welch feiner Ort!»
    «Charles, du hast Glück gehabt.» Mary hatte ihre Mutter beruhigt und gesellte sich nun zu ihnen. «Du könntest verletzt sein.»
    «Mary, ich habe auf den Londoner Straßen stets Fortune. Mein Leben in dieser Stadt steht unter einem Glücksstern.»
    «Mr Ireland, halten Sie das für vernünftig?»
    «Wenn er diese Erfahrung gemacht hat. Andere empfinden die Stadt eher als harte Prüfung.»
     
     
    Wenige Monate zuvor war William nachts um drei Uhr am Themseufer spazieren gegangen, direkt unterhalb von der Strand. Es war gerade Flut gewesen. Er kam oft um diese Zeit hierher. Er genoss es, wie das Wasser rauschend und gurgelnd immer höher stieg. Dieses Geräusch stimmte ihn hoffnungsfroh. Damals hatte er einen Mann am Ufer stehen sehen, der gerade Stiefel und Hose auszog. Man konnte unschwer erkennen, was er vorhatte. «Halt!» Instinktiv war William zu ihm gerannt. «Warten Sie einen Moment!»
    Es war ein junger Mann, nicht älter als William. Er zitterte vor Kälte und murmelte etwas vor sich hin. William konnte es kaum verstehen. Möglicherweise handelte es sich um eine Stelle aus dem Neuen Testament, aber er war sich nicht sicher. William packte den jungen Mann am Arm, doch dieser schüttelte ihn ab und sagte: «Werfen Sie einen Blick in mein Gesicht.

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