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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
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stachelten Charles’ Phantasie nicht an. Er fühlte sich unter den alten englischen Dichtern wohler und holte deshalb Greenes Pandosto aus dem Regal, wo es William abgestellt hatte. «Ist dieses Buch eigentlich sehr teuer?»
    «Drei Guineen.» Williams schroffer, impulsiver Ton machte Charles stutzig. Wollte er andere dadurch zum Widerspruch reizen?
    «Für drei Guineen kann man eine Menge Bücher kaufen.»
    «So einen Vorbesitzer hat keines.»
    Ein ganzer Wochenlohn. Andererseits war ein Buch aus Shakespeares ehemaligem Besitz mehr wert als eine Woche seines Lebens.
    «Eine Guinee kann ich Ihnen überlassen. Den Rest bezahle ich beim Abholen.»
    «Dazu müssen Sie sich wirklich nicht selbst herbemühen, Mr Lamb. Ich bringe es Ihnen gerne vorbei.»
    William Ireland trat hinter den Ladentisch und zog ein in Leder gebundenes Hauptbuch hervor. Charles staunte nicht wenig, als er danach aus seiner Westentasche ein Tintenfass samt Federkiel holte und sich daranmachte, eine Quittung auszustellen. William hatte eine saubere Kanzleischrift, die ganz anders aussah als die Sekretärsschrift, die Charles in den Geschäftsbüchern der Kompanie verwendete. Charles machte ihm dafür ein Kompliment.
    «Das habe ich von meinem Vater gelernt, Mr Lamb. Diese Schrift bereitet mir großes Vergnügen. Für gewisse Geschäfte bediene ich mich der Fraktur und für die alltäglichen Belange der Kurrent.»
    «Sie werden meine Adresse brauchen.»
    «Ich kenne das Haus.» Er blickte nicht auf.
     
     
    Es war William Ireland gewesen, der Charles vor zwei Nächten vom Salutation and Cat nach Hause gebracht hatte. Charles hatte dort nach dem Weggang seiner Freunde allein an einem alten Ebenholztisch in einer Ecke getrunken. An der Wand hinter ihm hing unter Glas ein besticktes Tuch mit einem längst verblassten Spruch. Man konnte nur noch die Worte «macht den Kuchen gel» entziffern.
    Charles starrte Löcher in die Luft und kratzte sich dabei mit dem Zeigefinger am Kinn. Schon oft hatte er mit der Möglichkeit gespielt, seine flüchtigen Gedanken einzufangen und in die richtige Reihenfolge zu bringen. So viele Eindrücke und Assoziationen, so viele Geistesblitze. Leider war es ihm noch nicht gelungen. Er kippte noch ein Glas Curacao hinunter. Allmählich verklumpte der süße Likör in seinem Magen. Trotzdem verspürte er nicht den Wunsch, in die Laystall Street zurückzukehren. Nachts konnte er den Geruch im Haus nicht leiden, er erinnerte ihn an Küchenabfälle. Auch nach einem Wiedersehen mit seinen Eltern sehnte er sich nicht. Sie schienen sich gegen die Möglichkeiten, die ihnen das Leben bot, abzuschotten. Und was Mary betraf – nun ja, gewiss, er genoss ihre Gesellschaft. Allerdings stießen ihn ihre überschwänglichen Bemühungen hin und wieder ab. Sicher, er war auf sie angewiesen, um geistig aufzublühen, um er selbst zu werden. Sie applaudierte ihm, weil sie ihn verstand. Doch wenn sie ihn zu sehr mit Beschlag belegte – wenn sie sich beispielsweise allzu eindringlich nach seinen Freundschaften erkundigte –, zog er sich von ihr zurück und verstummte. In solchen Fällen fühlte sie sich ihrerseits gedemütigt und zurückgewiesen. Also gab es Abende, an denen er trank.
    Er hielt es für töricht, Alkohol als Quelle der Inspiration zu betrachten. Alkohol engte seine Phantasie auf die begrenzte Wahrnehmung eines Betrunkenen ein. In diesem Zustand nahm er weder Details noch Perspektive wahr. Und doch begrüßte er ihn, ja, er suchte ihn sogar bewusst. Aber wovor fürchtete er sich? Vor dem Versagen, vor seiner Zukunft. Einer seiner Kommilitonen, Tobias Smith, hatte Christ’s Hospital ohne feste Anstellung, ohne Beschäftigung verlassen. Eine Weile hatte er bei seiner Mutter in Smithfield gelebt. Wenn man ihn in der Taverne oder im Schauspielhaus traf, wirkte er genauso fröhlich und lebhaft wie eh und je. Und doch verlotterte er nach und nach. Seine Kleidung wurde immer fadenscheiniger. Nach dem Tod seiner Mutter warf man ihn aus dem Gemeinschaftsquartier hinaus. Daraufhin schien ihn der Erdboden verschluckt zu haben. Aber dann hatte ihn Charles vor drei Wochen an der Ecke Coleman Street betteln gesehen und war an ihm vorbeigegangen, ohne sich zu erkennen zu geben. Er hatte Angst gehabt. Deshalb trank er jetzt Curaçao.
    Er genoss das Gefühl, langsam in die Trunkenheit abzugleiten. Vermutlich hatte er als Kleinkind ein ähnliches Bewusstsein gehabt, auch wenn er daran keine Erinnerung mehr hatte: die gleiche selige Wahrnehmung

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