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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
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Oden hatte er gegen Englands «Schlamm der Unwissenheit» und seine «tristen Grenzen» gewettert. Seine Sonette setzten sich mit persönlicheren Gefühlen auseinander. Ein Zyklus hatte die Geschichte eines «Empfindsamen» nachgezeichnet, der von «der rohen Masse Mensch» ignoriert oder ausgelacht wurde. Diese Arbeiten hatte er niemandem gezeigt, sondern sie in seine Schreibschatulle eingeschlossen. Manchmal holte er sie hervor und las sie wieder durch. Obwohl er diese Gedichte als Zentrum seines wahren Lebens erachtete, gab es auf der ganzen Welt keinen Menschen, mit dem er sie teilen konnte. Wie hatte er einmal geschrieben?
     
    «Still verharr’n die Geisteskräfte mein,
    wenn sie nicht trifft ein Funke Sympathie.»
     
    Charles Lamb und seine Freunde könnten ihn verstehen, daran glaubte er. Und doch hätte er nie den ersten Schritt gewagt. Zwischen ihnen klaffte ein viel zu tiefer Abgrund, der Abgrund der Selbstverleugnung.
    William hatte Charles durch die enge Straße gelenkt, hatte ihn um die Wasserpumpe herumgeführt und dafür gesorgt, dass er bei der Bäckerei Stride an der Ecke nicht gegen die feuchte, schmutzige Ziegelmauer prallte. Hier kaufte sich Charles jeden Werktag – er nannte es Schultag – morgens ein Milchbrötchen und verspeiste es auf dem Weg zur Leadenhall Street. Jetzt war er vorbeigelaufen, ohne den Laden wiederzuerkennen. Nur sein Instinkt hatte ihn die Treppe vom Kopfsteinpflaster zu seiner eigenen Haustür hinaufklettern lassen. Während er ungeschickt nach seinen Schlüsseln gesucht hatte, war William hinter ihn getreten. Doch dann hatte eine junge Frau die Tür geöffnet. William war rasch die Laystall Street hinuntergegangen. Aus irgendeinem Grund hatte er Angst, von ihr gesehen zu werden.
    Aber Mary Lamb hatte ihn gar nicht bemerkt. Sie war einzig und allein darauf bedacht gewesen, ihrem Bruder wieder einmal über die Schwelle ihres kleinen Hauses zu helfen.
     
     
    «Woher kennen Sie meine Adresse?»
    «Woher, Mr Lamb? Ich habe Sie vorgestern nach Hause begleitet. Doch das ist belanglos. Daran müssen Sie sich nicht mehr erinnern.» Mit dieser kunstvollen Anspielung schob er die Gedächtnislücke mehr auf seine eigene unbedeutende Person und weniger auf den Umstand, dass Charles betrunken gewesen war.
    «Vom Salutation?»
    William nickte.
    Wenigstens besaß Charles so viel Anstand zu erröten. Trotzdem klang er gefasst. Er pflegte zu seinem betrunkenen Ich eine merkwürdige Beziehung. Er betrachtete es als flüchtige Bekanntschaft, die ihm das Schicksal unglücklicherweise beschert und an die er sich gewöhnt hatte. Dieses Ich würde er nie verteidigen und sich auch nicht dafür entschuldigen. Er erkannte einfach seine Existenz an. «Nun ja, ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet. Könnten Sie heute Abend vorbeikommen?»
    Sie gaben sich die Hand. Charles verließ die Buchhandlung. Ein Blick nach links, einer nach rechts, dann trat er aus der dunklen Passage auf die High Holborn hinaus, wo sich Kutschen und Fußgänger drängten. Alles strebte in östliche Richtung, der City zu. Er schloss sich ihnen an. Das Ganze wirkte auf ihn wie eine bunte Parade, halb Leichenzug, halb Pantomime, in der sich ihm die ganze Fülle des Lebens zeigte, ehe es von der City verschluckt wurde. In seinen Ohren mischten sich die Schritte auf den Pflastersteinen, das Rumpeln der Kutschenräder und der Widerhall der Pferdehufe zu einer einzigartigen Geräuschkulisse: dem Klang der Stadt. Es war die Musik der Bewegung an sich. In der Ferne wippten Kappen, Hauben und Hüte auf und ab. Er steckte mitten in einem Gewimmel aus purpurnen Gehröcken, grünen Jacken, gestreiften Überziehern, karierten Mänteln, Schirmen und großen, wollenen, bunten Schultertüchern. Charles trug immer nur Schwarz. Wegen seiner ungemein knochigen Figur erinnerte er an einen jungen, staksigen Geistlichen. Ein Straßenhändler kannte ihn vom Sehen und verkaufte ihm ein Fleischpastetchen.
    Er war ein Teil dieser Menge. Dieser Gedanke tröstete ihn manchmal, besonders wenn er sich als Teil alles Lebendigen empfand. Gelegentlich verstärkte er in ihm ein Gefühl des Scheiterns, aber meistens spornte er seinen Ehrgeiz an. Er malte sich jene Tage aus, an denen er von seiner behaglichen Bibliothek oder von seinem Schreibzimmer aus der vorübergehenden Menge lauschen könnte.
    Die Straße selbst beachtete er kaum, dazu kannte er sie zu gut. Er wurde an Snow Hill und Newgate vorbeigetrieben, die Cheapside entlang und den Cornhill hinauf.

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