Wie es uns gefällt
der Gegenwart, dieses glückliche Hinnehmen aller Dinge. Er ging zur Theke, bestellte noch ein Glas und erkundigte sich beim Wirt nach den Gästen des heutigen Abends. Er hatte das Bedürfnis zu reden. Er wollte unbedingt Neuigkeiten über seine eigene Person preisgeben und lauthals über die witzige Bemerkung fremder Leute lachen.
«Das wäre dann das letzte Glas, Mr Lamb.»
«Selbstverständlich. Jawohl.»
Und dann fand er sich voll bekleidet auf seinem Bett wieder. Das Einzige, was ihm von letzter Nacht geblieben war, waren Bilder: ein Handgemenge riesiger Schatten, ein ausgestreckter Arm, ein geflüstertes Wort. An William Ireland, der neben der Tür zum Salutation and Cat gesessen hatte, konnte er sich nicht mehr erinnern. Eine Holzsäule mit verschiedenen Plakaten – für ein Kasperltheater, für eine Seiltanzvorführung – hatte ihn teilweise verdeckt.
Charles war von der Theke wieder auf seinen Platz gegangen, hatte den Kopf zurückgeworfen und das letzte Glas Curaçao geleert. Dann war er unsicher aufgestanden, hatte mit weit aufgerissenen Augen die Türe angepeilt und dabei laut gerufen: «Ihr dorthin, wir dahin.»
Da hatte sich William Ireland von seinem Platz erhoben und Charles sehr behutsam auf die Straße hinausgeholfen. Er hatte den Betrunkenen aus Lincoln’s Inn Fields fortgeschafft, sonst hätten ihn sofort Taschendiebe oder noch schlimmere Gestalten ins Visier genommen.
«Sir, wo logieren Sie?»
Charles lachte über diese Frage. «Ich logiere in der Ewigkeit.»
«Die könnte schwierig zu finden sein.» Und doch strebte Charles instinktiv seinem Zuhause zu und lief über King Street und Little Queen Street Richtung Laystall Street.
«Sie haben soeben Shakespeare zitiert. ‹Ihr dorthin, wir dahin.› Aus Verlorene Liebesmüh.»
«Wirklich? Jetzt dahin.»
Ein Nachtwächter kam vorbei und leuchtete William mit einer Lampe ins Gesicht.
«Mein Freund ist müde», sagte William. «Ich begleite ihn nach Hause.»
Er hatte Charles als seinen Freund bezeichnet, das gestattete ein gewisses Maß an Intimität. Beim Einbiegen in die Laystall Street hakte er sich bei ihm ein und stützte ihn.
William hatte ihn schon früher im Salutation and Cat gesehen. Charles saß hier oft in Gesellschaft. Man unterhielt sich lautstark über die neuesten Theaterstücke und Publikationen, debattierte über Philosophie oder die Vorzüge gewisser Schauspielerinnen. Ireland, der stets allein auf seinem Stammplatz neben der Tür saß, lauschte begierig. Immer wieder drangen laute Gesprächsfetzen zu ihm herüber. Besonders hatte ihn eine feierliche Rede beeindruckt, in der Charles Dryden über Pope gestellt hatte. Außerdem hatte William erfahren, dass Charles für die Journale schrieb. Er hatte gehört, wie dieser ein geplantes Essay zum Thema «arme Verwandte» erörterte.
«Immer lächeln sie nur und sind stets verlegen», hatte Charles zu Tom Coates und Benjamin Milton gesagt. «Obendrein sind sie für die Dienerschaft ein Rätsel, denn diese muss immer befürchten, entweder zu unterwürfig oder zu unhöflich zu sein.»
«Aber ihr habt doch gar keine Bediensteten.»
«Ist Tizzy etwa nichts? Ein Hoch auf Tizzy! Ein Hoch auf Herrn und Frau Niemand!»
Auch William hatte bei der Pall Mall Review ein Essay eingereicht, über Bucheinbände zur Zeit der Renaissance. Leider hatte man es mit der Begründung abgelehnt, es handle sich um «ein viel zu spezielles Thema für eine breite Leserschaft». Diese Antwort hatte ihn nicht überrascht. Sein Ehrgeiz kannte nur ein Pendant: sein Misstrauen gegenüber der eigenen Person. Er strebte nach Erfolg und erwartete doch nur Scheitern. Deshalb lauschte er Charles voller Neid. Auch bewunderte er dessen Begleiter, die offensichtlich in der Welt der Literatur und des Journalismus voll und ganz zu Hause waren. Eine Bekanntschaft mit Mr Lamb könnte für ihn die Eintrittskarte in diese verlockende Gemeinschaft sein.
Ferner hegte er die Hoffnung, vielleicht selbst auf den Spuren von Charles Lamb zu wandeln. William hatte zwei ehrgeizige Ziele: Schreiben und Publizieren. Sein Essay für die Pall Mall Review war sein einziger journalistischer Versuch gewesen. Im Übrigen hatte er einige Oden und Sonette verfasst. Besonders schätzte er seine «Ode an die Freiheit. Anlässlich Napoleons Rückkehr aus Ägypten nach Frankreich». Gleichzeitig war er sich jedoch bewusst, dass man diese Ode unter den gegenwärtigen Umständen nicht in englischen Journalen abdrucken konnte. In anderen
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