Wie funktioniert die Welt?
ist die Geschichte komplizierter, als es zunächst den Anschein hat, und an dieser Stelle hat die Erklärung für die tatsächlichen Abläufe eine gewisse Schönheit. Inzucht gilt zwar allgemein als unerwünscht, in den letzten Jahren ist die Diskussion aber vielschichtiger geworden. Die Beseitigung von Genen, die ernsthaft schädliche Wirkungen haben, bringt offenkundigen Nutzen mit sich, und diese kann in einer Inzuchtpopulation erfolgen. Die Kreuzung nach außen, die in der Regel als vorteilhaft gilt, verbindet sich mit der Möglichkeit, dass der Nutzen der Säuberung durch neueingeschleppte, schädliche Gene zunichtegemacht wird. Außerdem geht es einer an die Umwelt angepassten Population unter Umständen nicht gut, wenn man sie mit einer Population kreuzt, die andere Anpassungen besitzt. Häufig stellt sich also ein Gleichgewicht zwischen Inzucht und der Kreuzung nach außen ein.
Wenn die Lebensgeschichte einer Spezies die sorgfältige Aufzucht der Nachkommen erfordert, nehmen die Eltern oft große Mühen auf sich, um sich mit dem bestmöglichen Partner zu paaren. Der Partner sollte einem selbst nicht zu ähnlich sein, aber auch nicht zu unähnlich. Japanische Wachteln beiderlei Geschlechts bevorzugen Cousins und Cousinen ersten Grades als Partner. Weitere Tierversuche legen die Vermutung nahe, dass ein optimales Maß von Verwandtschaft für einen Organismus im Hinblick auf den Fortpflanzungserfolg am nützlichsten ist. In die gleiche Richtung deuten auch Untersuchungen an einer menschlichen Bevölkerungsgruppe in Island. Paare, die Cousins und Cousinen dritten oder vierten Grades sind, haben mehr Enkel als enger oder weitläufiger verwandte Partner. Viele Befunde an Menschen und anderen Tieren weisen darauf hin, dass die Wahl des Partners von Erfahrungen im ersten Lebensstadium abhängt: Individuen neigen zur Entscheidung für Partner, die sich von vertrauten Personen – bei denen es sich in der Regel, aber nicht immer um enge Verwandte handelt – ein wenig, aber nicht allzu stark unterscheiden.
Die Rolle von Jugenderfahrungen für die sexuellen und gesellschaftlichen Vorlieben stimmt mit dem allgemein bekannten Befund überein, dass Menschen gegenüber Mitgliedern ihrer eigenen Gruppe äußerst loyal sind. Sie sind sogar bereit, ihr eigenes Leben zur Verteidigung derer zu opfern, mit denen sie sich identifizieren. In krassem Gegensatz dazu können sie gegenüber anderen, die ihnen nicht vertraut sind, eine tödliche Aggressivität an den Tag legen. Dies weckt auch Hoffnungen auf eine Beseitigung von Rassismus und Intoleranz, die heute viele Gesellschaften belasten. Wenn Menschen aus unterschiedlichen Ländern und mit unterschiedlichem ethnischem Hintergrund sich gegenseitig besser kennenlernen, werden sie einander auch mit größerer Wahrscheinlichkeit gut behandeln, insbesondere wenn die Vertrautheit bereits in jungen Jahren geschaffen wird. Wenn Vertrautheit zu Ehen führt, haben die Paare vielleicht weniger Enkel, aber das kann auf einem überbevölkerten Planeten ein Segen sein. Dieses optimistische Prinzip, das auf Kenntnissen über das Gleichgewicht zwischen Inzucht und Kreuzung nach außen basiert, untergräbt die Biologie – aber für mich ist es von beträchtlicher Schönheit.
Simon Baron-Cohen
Das Geschlecht in den Fingerspitzen
Psychologe; Direktor, Autism Research Centre, Universität Cambridge; Autor von The Science of Evil: On Empathy and the Origins of Cruelty
Dass Männer und Frauen vom Hals an abwärts unterschiedlich aussehen, wissen wir alle. Immer mehr spricht aber dafür, dass es auch oberhalb des Halses Unterschiede gibt. Ein Blick auf den Geist zeigt, dass Frauen im Durchschnitt schneller Mitgefühl entwickeln – und Männer entwickeln im Durchschnitt ein stärkeres Interesse an Systemen oder an der Frage, wie Dinge funktionieren. Es handelt sich dabei weniger um unterschiedliche Fähigkeiten als vielmehr um Unterschiede der Kognition und der Interessenverteilung. Sie sollten nicht im Weg stehen, wenn wir auf Chancengleichheit in der Gesellschaft oder auf eine gleichmäßige Vertretung in allen Disziplinen und Fachgebieten hinarbeiten, aber solche politischen Bestrebungen sind ein ganz anderes Thema als die wissenschaftliche Beobachtung kognitiver Unterschiede.
Auch ein Blick ins Gehirn zeigt Unterschiede. Während beispielsweise Männer im Durchschnitt auch dann ein größeres Gehirnvolumen haben als Frauen, wenn man Körpergröße und Gewicht durch entsprechende
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