Wie funktioniert die Welt?
das Innere. Wenn Psychoanalytiker über Objektbeziehungen sprachen, redeten sie in Wirklichkeit immer über Menschen. Von Anfang an hielten Menschen den Computer für »fast lebendig« oder für »sozusagen lebendig«. Mit dem Computer kann man die Psychoanalyse der Objektbeziehungen jetzt auch auf – ja – Objekte anwenden. Die Menschen fühlen sich eins mit Videospielen, mit Codezeilen des Computers, mit den Avataren, die sie in virtuellen Welten spielen lassen, mit ihrem Smartphone. Klassische Übergangsobjekte sind dazu da, aufgegeben zu werden, und ihre Macht wird in Augenblicken erhebender Erlebnisse wieder lebendig. Wenn unsere derzeitigen digitalen Gerätschaften – unsere Smartphones und Handys – die Macht von Übergangsobjekten erlangen, ist das der Beginn einer neuen Psychologie. Diese digitalen Objekte sollten wir niemals aufgeben. Wir sollten Cyborgs werden.
Marcel Kinsbourne
Wie man auf eine gute Idee kommt
Professor für Psychologie, The New School; Coautor (mit Paula J. Kaplan) von Children’s Learning and Attention Problems
Um eine gute Idee zu haben, muss man kein Mensch sein. Das können auch Fische.
In den flachen Gewässern Mikronesiens gibt es eine Spezies großer Fische, die sich von kleinen Fischen ernähren. Die kleinen Fische wohnen in Löchern im Schlamm, schwärmen aber zur Nahrungssuche aus. Der große Fisch beginnt, die kleinen Fische einen nach dem anderen zu verschlingen, die aber ziehen sich sofort in ihre Löcher zurück, kaum dass er mit dem Fressen begonnen hat. Was soll er tun?
Diese Frage habe ich in meinen Seminaren im Laufe der Jahre immer wieder gestellt, und ich weiß noch, wie ein Student auf die gute Idee des großen Fisches kam. Natürlich brauchte er dazu nur ein wenig nachzudenken – Jahrmillionen der Evolution waren dazu nicht erforderlich; aber wer zählt schon?
Der elegante Trick funktioniert folgendermaßen: Wenn der Schwarm der kleinen Fische auftaucht, frisst der große Fisch sie nicht, sondern er schwimmt so tief, dass er mit dem Bauch über den Schlamm schrammt und die Löcher für den Rückzug versperrt. Dann kann er nach Belieben seine Mahlzeit einnehmen.
Was lernen wir daraus? Um auf eine gute Idee zu kommen, muss man aufhören, schlechte Ideen zu haben. Der Trick bestand darin, die einfachen, naheliegenden, aber wirkungslosen Versuche einzustellen, so dass einem eine bessere Lösung einfallen kann. Bei dem großen Fisch funktionierte das in alter Zeit durch einen Mechanismus von Mutation und natürlicher Selektion. Statt über das Naheliegende – schnelleres Fressen, größere Bissen und so weiter – nachzugrübeln, wird der Plan A aufgegeben, und der Plan B gewinnt Oberwasser. Für Menschen gilt: Wenn auch die zweite Lösung nicht funktioniert, blockieren sie diese ebenfalls und warten ab. Dann taucht im Bewusstsein eine dritte auf, und so weiter, bis das unlösbare Problem gelöst ist, wobei unter Umständen die intuitiv naheliegendsten Voraussetzungen über den Haufen geworfen wurden.
Dem Neuling erscheint die gute Idee magisch wie eine plötzliche intellektuelle Erleuchtung. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie wie zuvor beschrieben aus einem längeren Prozess hervorgeht, wobei ausreichende Erfahrung hilft, verführerische, aber irreführende Ausgangspunkte abzulehnen. So erwächst das Außergewöhnliche Schritt für Schritt aus dem Gewöhnlichen.
Gute Ideen sind in der Evolution nichtmenschlicher Arten alles andere als selten. Viele, wenn nicht sogar die meisten biologischen Arten müssen eine Idee oder einen Trick haben, der so gut funktioniert, dass sie weiterleben können. Zugegeben: Sie sind vielleicht nicht in der Lage, dieses Prinzip aus dem Zusammenhang, in dem es entstanden ist, herauszulösen und zu verallgemeinern, wie es (manche) Menschen dank ihrer Großhirnrinde können.
Wenn die klügsten Köpfe es trotz jahrzehnte- oder jahrhundertelanger Bemühungen nicht schaffen, ein klassisches Problem zu lösen, waren sie wahrscheinlich in einer Voraussetzung gefangen, die kulturell so stark »vorgegeben« war, dass sie nicht einmal auf den Gedanken gekommen sind, sie in Frage zu stellen – oder sie haben dies überhaupt nicht bemerkt. Aber der kulturelle Zusammenhang wandelt sich, und was gestern auf der Hand zu liegen schien, wird heute oder morgen im besten Fall zweifelhaft. Früher oder später trifft vielleicht jemand, der nicht begabter sein muss als seine Vorgänger, aber nicht durch irgendeine grundlegende falsche
Weitere Kostenlose Bücher