Wie funktioniert die Welt?
Entdeckung verbunden, dass Atome physikalische Realität sind. Die Farbe des Himmels steht in einem engen Zusammenhang mit der Atomtheorie und auch mit der Avogadro-Zahl. Das wiederum erregte zwischen 1905 und 1910 Einsteins Aufmerksamkeit.
Der Himmel ist also blau, weil das einfallende Licht mit den Gasmolekülen der Luft so in Wechselwirkung tritt, dass das Licht im blauen Teil des Spektrums stärker gestreut wird und dann unsere Augen auf der Erdoberfläche erreicht. Einfallendes Licht aller Wellenlängen kann auf diese Weise gestreut werden, aber das blaue Licht mit seiner hohen Frequenz (kurzen Wellenlänge) wird durch einen Prozess, der als Rayleigh-Streuung bezeichnet wird und in den 1870 er Jahren erstmals beschrieben wurde, stärker gestreut als solches mit niedriger Frequenz. John William Strutt – Lord Rayleigh –, der 1904 den Physik-Nobelpreis für die Entdeckung des Argons erhielt, wiesen nach, dass die Intensität gestreuten Lichtes umgekehrt proportional zur vierten Potenz seiner Wellenlänge ist, wenn die Wellenlänge des Lichtes in der gleichen Größenordnung liegt wie die Größe der Gasmoleküle. Kürzere Wellenlängen wie Blau (und Violett) werden also stärker gestreut als längere. Es ist, als würden alle Moleküle in der Luft bevorzugt blau aufleuchten, und genau das sehen wir um uns herum.
Eigentlich sollte der Himmel aber violett aussehen, denn violettes Licht wird sogar noch stärker gestreut als blaues. Dass er dennoch nicht diese Farbe zu haben scheint, wird mit dem letzten, biologischen Teil des Rätsels erklärt, und das ist die Konstruktion unserer Augen: Sie sind für blaues Licht empfindlicher als für violettes.
Die Antwort auf die Frage, warum der Himmel blau ist, bezieht also Kenntnisse aus vielen Naturwissenschaften mit ein: über die Farben im sichtbaren Spektrum, die Wellennatur des Lichtes, den Winkel, in dem das Sonnenlicht auf die Atmosphäre trifft, die Mathematik der Lichtstreuung, die Größe von Stickstoff- und Sauerstoffmolekülen und sogar die Farbwahrnehmung unserer Augen. So viel Wissenschaft steckt in einer Frage, die schon ein kleines Kind stellen kann.
Philip Campbell
Die Schönheit eines Sonnenaufgangs
Chefredakteur, Nature
Als ich die Physik zum ersten Mal spannend fand, erschien mir die Tiefe ihrer Erklärungen in sehr esoterischen Zusammenhängen überzeugend. Die Verbindung von Materie, Energie und Raumzeit in der allgemeinen Relativitätstheorie beispielsweise hielt ich für eine außerordentlich elegante, tiefgreifende Erklärung (was sie ja auch ist). Noch überzeugender finde ich heute leistungsfähige Erklärungen für Dinge, die wir um uns herum sehen und nur allzu leicht für selbstverständlich halten. Und ich fühle mich zu einem Zusammenhang hingezogen, den einfach jeder jeden Tag erlebt.
How generous is that himself the sun
– arriving truly, faithfully who goes
(never for a moment ceasing to beginn
The mystery of day for someone’s eyes)
Dies schrieb E.E. Cummings zur Eröffnung seines lyrischen Lobliedes auf unseren Stern. Seine Worte werfen Licht auf einen alltäglichen Augenblick – den Sonnenaufgang. Das damit verbundene menschliche Gefühl der Bedeutung(slosigkeit) und des Geheimnisvollen wird für manch einen nur noch tiefer, wenn wir (mindestens) drei großartige Erklärungen in Betracht ziehen, die diesem Erlebnis zugrunde liegen. Jedes davon hat mindestens eine der in der
Edge
-Frage geforderten Eigenschaften: Tiefe, Eleganz und Schönheit.
Wem solche Dinge wichtig sind, und wer (wie ich) im Norden der mittleren Breiten lebt, der kennt den von der eigenen Wohnung aus sichtbaren Abschnitt des Horizonts zwischen Südosten und Nordosten, an dem die Stelle des Sonnenaufganges im Laufe des Jahres hin- und herwandert: Wenn er sich nach Norden verschiebt, findet er später statt, und die Tage werden kürzer, nach der Wintersonnenwende verläuft die Bewegung dann wieder in die andere Richtung. Und über diese recht komplizierte Verhaltensweise hinaus gibt es die einfache Wahrheit, dass die Sonne zuverlässig ist – wir können uns tatsächlich darauf verlassen, dass sie jeden Morgen irgendwo im Osten wieder erscheint.
Wie ein großes Kunstwerk, so verliert auch eine große wissenschaftliche Erklärung nichts von ihrer Fähigkeit, neues Staunen auszulösen, wenn man darüber nachdenkt. Das gilt auch für die Erklärung, dass diese Tages- und Jahreszyklen des Sonnenaufganges einer gekippten, rotierenden Erde zuzuschreiben
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