Wie funktioniert die Welt?
1736 – 1813 ) benannt – ist nicht mehr fest, sondern wir beschreiben alle Bewegungen relativ zu uns selbst und zueinander. Die Beschreibung der Strömung entspricht genau jener, die wir durch die Beobachtung vom Hügel aus gewonnen haben, die mathematischen Gleichungen erscheinen aber bis zur Unkenntlichkeit anders.
Auf mein jüngeres Ich wirkte der Übergang zwischen den beiden Bezugsrahmen damals geradezu magisch. Er war vielleicht nicht besonders tief greifend, aber elegant und äußerst hilfreich. Dennoch war es nur der Anfang einer Reise, die mir die alten Bezugsrahmen unter den Füßen wegziehen sollte. Es begann mit dem naiven Bild einer unbeweglichen Erde als absolutem Bezugsrahmen des Aristoteles, der schon bald von Galilei zurückgewiesen und durch einen Bezugsrahmen ersetzt wurde, in dem Bewegung nichts Absolutes ist. Ach, wie gern ließ ich mich mit Lagrange auf Eulers Fluss stromab treiben, bis ich durch Einsteins spezielle Relativitätstheorie beunruhigt wurde und den Verlust der Gleichzeitigkeit zu begreifen versuchte. Es war ein großer Verlust.
Eine grundlegende Verschiebung unseres Bezugsrahmens betrifft insbesondere dann, wenn dieser unseren Platz in der Welt definiert, jeden Einzelnen von uns ganz persönlich. Wir leben und lernen. Die nächste Generation wird in den neuen Bezugsrahmen hineingeboren und hat keine Verbindung zum alten mehr.
In der Wissenschaft ist das einfach. Aber die Bezugsrahmen der Menschen gehen über Mathematik, Physik und Astronomie hinaus. Wissen wir, wie uns der Wechsel zwischen menschlichen Bezugsrahmen gelingen kann? Sind sie nicht in den meisten Fällen »Lagrange’sch« und relativ? Vielleicht können wir uns eines Anhaltspunkts aus der Wissenschaft bedienen und eine elegante Lösung finden. Oder zumindest eine elegante Erklärung.
Helen Fisher
Epigenetik: Das fehlende Bindeglied
Biologische Anthropologin, Rutgers University; Autorin von Die vier Typen der Liebe (auch erschienen als Warum es funkt – und wenn ja, bei wem )
Für mich ist die Epigenetik die gewaltigste Erklärung, die aus Gesellschaftswissenschaft und Biologie erwachsen ist, seit Darwin seine Theorien der natürlichen und sexuellen Selektion formulierte. Mehr als 2500 Artikel, viele wissenschaftliche Tagungen, das San Diego Epigenome Center und andere Institute, ein über fünf Jahre laufendes Epigenomics Program, das 2008 von den National Institutes of Health ins Leben gerufen wurde, und viele andere Institutionen, akademische Foren und Menschen haben sich dem neuen Fachgebiet verschrieben. Epigenetik wurde zwar unterschiedlich definiert, Grundlage aller Definitionen ist aber die Vorstellung, dass Umwelteinflüsse sich auf das Verhalten der Gene auswirken können und sie entweder ein- oder ausschalten. Als Anthropologin, die keine höhere Ausbildung in Genetik besitzt, werde ich nicht versuchen, die einschlägigen Prozesse zu erklären; zwei grundlegende Mechanismen sind jedoch bekannt: An dem einen sind Methylgruppen beteiligt, Moleküle, die sich an die DNA heften und die Genexpression unterdrücken oder zum Schweigen bringen; der andere bedient sich der Acetylgruppen, einer Klasse von Molekülen, welche die Genexpression aktivieren und verstärkten.
Höchstwahrscheinlich haben die epigenetischen Mechanismen bedeutsame Wirkungen. Manchen Hypothesen zufolge spielen epigenetische Faktoren eine Rolle für die Entstehung zahlreicher Krankheiten, Zustände und Abweichungen bei Menschen, von Krebs über klinisch auffällige Depressionen und geistige Erkrankungen bis hin zu Varianten von Verhalten und Kultur.
Ein Beispiel sind die Amazigh oder Berber in Marokko, Menschen mit sehr ähnlichen genetischen Profilen, die heute in drei verschiedenen Umgebungen leben: Manche ziehen als Nomaden durch die Wüsten, andere betreiben Ackerbau an den Berghängen, wieder andere leben in den größeren und kleineren Städten an der marokkanischen Küste. Und je nachdem, wo sie wohnen, wird nach einem Bericht des Wissenschaftlers Youssef Idaghdour bis zu einem Drittel ihrer Gene unterschiedlich stark exprimiert. [23]
So sind beispielsweise bei den Stadtbewohnern manche Gene der Atmungsorgane eingeschaltet – vielleicht, so Idaghdour, als Gegengewicht zu der neuen Anfälligkeit für Asthma und Bronchitis in der smoggefährdeten Umgebung. Idaghdour und seine Kollegen vermuten, dass epigenetische Mechanismen in den drei Bevölkerungsgruppen der Berber die Expression zahlreicher Gene verändert und so die
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