Wie funktioniert die Welt?
ist, auf dem die Umwelt die Persönlichkeit aufschreibt. Mit der gleichen Selbstsicherheit vertraten andere die Überzeugung, Gene würden unsere Entwicklung, unsere Krankheiten und unsere Lebensweise dirigieren. Dagegen konnten die Sozialwissenschaftler jahrzehntelang nicht erklären, welche Mechanismen die Verhaltensunterschiede zwischen Zwillingen, Familienangehörigen und Kulturkreisen bestimmen. Und die Biologen scheiterten mit dem Versuch, die genetischen Grundlagen vieler geistiger Störungen und komplexer Krankheiten dingfest zu machen. Jetzt hat man den zentralen Mechanismus gefunden, mit dem man solche schwierigen Fragen beantworten kann.
Ich bin sicher nicht die Erste, die dieses neue Teilgebiet der Biologie – die Erforschung der grundlegenden Prozesse, durch die Gene und Umwelt in Wechselbeziehung treten – als Revolution preist. Aber für mich, die ich als Anthropologin lange bemüht war, in einer wissenschaftlichen Disziplin, die heillos in den Krieg zwischen Genen und Umwelt verstrickt war, einen Mittelweg einzuschlagen, ist Epigenetik das fehlende Bindeglied.
Barry C. Smith
Zitronen sind schnell
Professor und Direktor, Institute of Philosophy, School of Advanced Study, University of London; Autor von Questions of Taste: The Philosophy of Wine
Wenn wir Zitronen auf einer Skala zwischen LANGSAM und SCHNELL anordnen sollen, sagt fast jeder »schnell«, aber wir haben keine Ahnung, warum. Vielleicht ist das Gehirn des Menschen einfach so gebaut, dass es diese Antwort gibt. Vermutlich. Aber wie nützt es uns? Es ist nicht so etwas wie eine Erklärung, sondern eher ein Haltepunkt, an dem wir mehr wissen wollen. Damit sind wir bei der Frage, was wir von einer Erklärung erwarten: Soll sie stimmen, oder soll sie uns zufriedenstellen? Von Dingen, die man früher für selbstverständlich hielt, wissen wir heute, dass sie falsch sind. Eine Gerade ist natürlich die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten, bis wir uns vorstellen, dass der Raum gekrümmt ist. Was unsere Denkweise zufriedenstellt, muss nicht zwangsläufig die Realität widerspiegeln. Warum erwarten wir eine einfache Theorie für eine komplexe Welt?
In der Frage, was wir von Erklärungen erwarten, hatte Wittgenstein Interessantes zu sagen, und er wusste, welchen Nutzen sie in verschiedenen Formen bringen. Manchmal brauchen wir einfach nur mehr Information; manchmal müssen wir einen Mechanismus – beispielsweise ein Ventil oder einen Flaschenzug – untersuchen, um zu verstehen, wie er funktioniert; manchmal müssen wir etwas Vertrautes in neuem Licht sehen, um zu erkennen, was wir in Wirklichkeit vor uns haben. Außerdem wusste er, dass Erklärungen manchmal nicht ausreichen: Wenn man Liebeskummer habe, würde eine Hypothese zur Erklärung nicht viel helfen. [27]
Wie steht es also mit der nahezu allgemeingültigen Antwort auf die scheinbar sinnlose Frage, ob Zitronen schnell oder langsam sind? Wenn man uns sagt, unser Gehirn sei einfach dazu gebaut, so zu reagieren, sind wir nicht zufrieden. Aber genau dann, wenn eine Erklärung uns im Stich lässt, stachelt sie uns zu größeren Anstrengungen an; sie ist nicht das Ende der Geschichte, sondern ihr Anfang. Die naheliegende nächste Frage lautet nämlich nun: Warum ist das Gehirn des Menschen
so
gebaut? Welchem Zweck dient das? Hier kann uns das Phänomen der automatischen Assoziationen einen tiefgreifenden Hinweis auf die Funktionsweise des Geistes liefern, denn es ist symptomatisch für die modusübergreifenden Verbindungen: für nichtwillkürliche Assoziationen zwischen Merkmalen verschiedener Sinneskanäle.
Solche Verbindungen gibt es zwischen Geschmack und Form, zwischen Hören und Sehen, zwischen Hören und Riechen; viele von ihnen wurden von dem experimentellen Psychologen Charles Spence und der Philosophin Ophelia Deroy untersucht. Diese unerwarteten Zusammenhänge sind zuverlässig und allen Menschen gemeinsam – im Gegensatz zu Fällen von Synästhesie, die zwar individuell einheitlich sind, insgesamt aber persönliche Eigenarten darstellen. Und dass wir solche Verbindungen im Gehirn herstellen, liegt daran, dass sie uns mehrfache Zugriffe auf Objekte in der Umwelt liefern, die wir sowohl hören als auch sehen können. Außerdem schaffen sie die Möglichkeit, schwer fassbare Aspekte unseres Erlebens mitzuteilen.
Häufig sagen wir, Geschmack sei schwer zu beschreiben, aber wenn uns klarwird, dass wir den Wortschatz verändern und über einen Geschmack als runden oder
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