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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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dies hier, 28 Jahre danach, ist auch sein ganz persönlicher Sieg.
    Klingt verwirrend.Verlangt Entwirrung. Urban beugt sich vor: »Der 13. August war ein heißer, sonniger Tag. Ich war mit einem Freund unterwegs, wollte in der Invalidenstraße fürs Moped eine Kette kaufen, dann zum Schwimmen. Wir kamen aus Potsdam, die Plastiktüte mit der Badehose hatte ich dabei. Ein Vopo hielt uns beim Umsteigen an. Wohin wir wollten, wollte der wissen. In die Idiotenstraße, antwortete ich aus Scherz. Doch der fand das nicht so witzig. Später wurde mir klar, dass an diesem Tag des Mauerbaus, wovon ich ja keine Ahnung hatte, war doch alles streng geheim, selbst die kleinsten Scherze bei den Typen nicht so gut ankamen.« Urban und sein Freund wurden in der Nähe des Brandenburger Tors in das Haus zugeführt, in dessen Richtung er die Zunge rausstreckte in der Novembernacht 1989. Sie kamen aber damals um Mitternacht bereits wieder frei, weil er seine Vernehmer davon überzeugen konnte, dass in der Tüte nicht etwa sein Fluchtgepäck steckte, sondern eben nur eine Badehose.
    Nachdem er wegen eines Muskelfaserrisses im Oberschenkel mit dem Leistungssport aufhören musste, wollte Hans-Peter Urban Sport- und Geschichtslehrer werden, schloss ab mit einem Diplom, hängte aber gleich eine andere Ausbildung dran: Nachrichteninformationselektronik. Erneut mit Diplom. So ausgebildet zog er nach Adlershof und machte Schritt für Schritt über die Jahre Karriere, die ihn schließlich ganz nach oben führte bis in jenes Büro, in dem er in der Nacht des Mauerfalls saß. »Freiheit im heutigen Sinne gab es zwar auch beim DFF nicht, aber ein bisschen mehr reden als im Rest der Republik konnte man schon. Wissen Sie, wenn man unter einem Deckel groß wird, versucht man immer, den Deckel ein wenig zu heben. Das haben wir alle gemacht. Und Spaß war auch dabei. Denn in der DDR war ja eigentlich alles verboten, also haben wir jeden Tag irgendwie ein
Verbot gebrochen. Natürlich haben wir weder täglich den Aufstand gegen die oben geübt, noch sind wir jeden Tag mit der roten Fahne mittags einmal um den Block gelaufen.«
    Urban freut sich über das Bild, das er gerade von sich skizziert hat. So schwer fiel es ihm damals auch nicht, sich durchzuboxen, er war ja eher links als rechts, und zu einer kleinen Sabotage des sozialistischen Aufbaus Ost hat es auch gereicht. Einer ganz kleinen. Denn für sein Haus, das er sich in der Nähe gekauft hatte, Schwamm drin, verwohnt, früher von Russen bewohnt, fehlte es bei der Renovierung an einem bestimmten Bauteil. Das war offiziell einfach nicht zu bekommen. Also musste es beschafft werden. In Adlershof auf dem Gelände, wo gerade gebaut wurde, lagen Dutzende davon herum. Urban drückte eines Abends einem der LKW-Fahrer zwanzig Ostmark in die Hand und sagte dem, lad mal so ein Ding da auf einen Laster, und bring es zu mir nach Hause. So geschah es.
    Am nächsten Sonnabend unterhielt er sich, wie oft, übern Zaun mit seinem Nachbarn, der war Bauleiter in Adlershof. Urban fragte ihn, auch wie so oft, ob denn alles gut laufe und er im Plan sei. Alles liefe gut, antwortetet der, alles sei im Plan, aber der Genosse Direktor solle sich mal vorstellen, was unlängst passiert sei, da habe doch tatsächlich einer nachts vom Hof was geklaut, eines der da herumliegenden Bauteile …
    Urbans heutiges Büro liegt auf demselben Stockwerk wie sein damaliges 150-Quadratmeter-Büro, ist aber längst nicht mehr so groß. Damals war er formell der Deutschen Post unterstellt, die fürs Technische zuständig war, während das Presseamt die Inhalte der Sendungen überprüfte. Urban war nicht nur in der SED. Schon als aktiver Sportler gehörte er zu den Reisekadern, wie im Zonendeutsch alle hießen, die ins Ausland reisen durften, und von seinen Reisen hat er berichtet, um seine Privilegien nicht zu verlieren. Als Techniker schrieb er auf, was er bei Studioausrüstungen in Paris oder London oder New York gesehen hatte. Er war nach Ansicht der Kollegen im Westen technisch gesehen einer der Besten seines Fachs, die Ausstattung seiner Studios war
derjenigen der Konkurrenz in Westberlin, wie sich herausstellen sollte, weit überlegen.
    Die aus dem Westen schickten zur Abwicklung des Senders im Oktober 1990 nach dem Einigungsvertrag dann den ehemaligen Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks, den getreuen CSU-Mann Rudolf Mühlfenzl. Der fragte als Erstes Urban, ob er in der Partei gewesen sei. Ja, natürlich war er das. Und Stasi?

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