Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
Hermann hätte gern einen Baubetrieb geleitet aufgrund seiner Erfahrungen, es würde ja jetzt erst recht viel zu tun geben. Aber er merkte bald, von einem wie ihm hätte in der Umbruchszeit keiner auch nur ein Stück Brot
genommen. Die Sieger der Geschichte waren nun mal die anderen. Von deren Gnade wollte er nicht abhängen. Die sollten nicht entscheiden dürfen, »wer als ewig sündiger Diener des falschen Systems von nun an sich seiner Vergangenheit zu schämen und das eigene Leben als verlorene Zeit zu akzeptieren hatte«, wie er es in seinen Erinnerungen etwas pathetisch formulierte.
Also musste er etwas unternehmen im Januar 1990. Ausgedrückt in der soldatischen Sprache, an die er sich lange gewöhnt hatte: »Nach erfolgter Standortbestimmung habe ich mich zunehmend zurückgezogen und mich auf meine eigene Perspektive konzentriert.« Er studierte wie ein Feldherr den vor ihm liegenden Feind – zumindest war er bis dato ein solcher gewesen, der hieß damals Imperialismus, Kapitalismus -, und der war in seinem Fall jetzt die freie Marktwirtschaft.Von der hatte er keine Ahnung. Herrmann überlegte, wie er sich mit der arrangieren konnte, denn dass die nun mal stärker war als er, hatte er erkannt. »If you can’t beat them, join them«, nennen das amerikanische Strategen des real existierenden Kapitalismus, wo es wie im Krieg auch darum geht, sich den Stärkeren anzupassen, falls man die nicht besiegen kann.
Seine erste Idee war gleich die richtige, und mit der bewies er sein strategisches, sein unternehmerisches Talent. In der DDR hatte es nicht nur zehn, zwölf Jahre gedauert, bis ein bestelltes Auto vom Werk geliefert wurde. Manche Ostler bekamen ihren bestellten Trabi ausgerechnet erst dann, als jede Menge gebrauchter Golfs zur Verfügung standen, die nach der Währungsunion zudem auch noch bezahlbar waren. Allein für eine Führerscheinprüfung waren aufgrund der wenigen Fahrschulen in der DDR etwa sieben Jahre Wartezeit üblich. Er besann sich auf seine Ausbildung als Fahrlehrer, kaufte einen zehn Jahre alten Shiguli, einen Lada auf Basis des Fiat 124, baute ihn für seine Bedürfnisse um und legte los. Sie rannten ihm seine Bude in Hellersdorf ein. Die Kunden reagierten auf das verlockende Angebot, wie in der Marktwirtschaft üblich, mit großer Nachfrage. Bald musste er einen Fahrlehrer beschäftigen, dann den zweiten, der
Laden lief, und nicht mehr nur auf Ladas. Herrmann expandierte, kaufte sich einen gebrauchten Bus, den er anfangs selbst fuhr, bot seinen Landsleuten günstige Reisen in den ihnen ja unbekannten Westen an, und auch dieses Geschäft hatte goldenen Boden.
Achtzehn Jahre sind seitdem vergangen. Richard Herrmann befehligt keine Truppen mehr, aber rund dreihundert Leute sind bei ihm angestellt. Sechzig Prozent von denen kennt er aus seinem früheren Leben, darunter auch höhere Offiziere, ein Oberst zum Beispiel. Denen hat er früher den Sozialismus gepredigt, also muss er ihnen heute den Kapitalismus predigen und ihnen beweisen, dass der funktioniert. Politisch steht er der CDU nahe, gehört aber keiner Partei an. Mario Czaja kennt er, logisch. Der war selbstverständlich dabei, als Richard Herrmann vor ein paar Jahren für seine unternehmerische Leistung mit dem »Großen Preis des Mittelstandes« ausgezeichnet wurde. Er und andere Ruinenbaumeister Ost dürfen sich inzwischen auch zu den Gewinnern der Einheit rechnen. Aus den Patrioten des anderen Systems sind dankbare Profiteure seines Untergangs geworden.
Vierzehn Kilometer entfernt von Richard Herrmanns Betrieb, Fahrzeit 31 Minuten, immer noch tief im Osten Berlins, in Adlershof, breitet sich der größte Wissenschafts- und Technologiepark Deutschlands aus. Einhundertvierzig Unternehmen haben sich auf dem Gelände am Rande eines ödzonigen Gewerbegebiets angesiedelt, wobei »ödzonig« ein gemein falscher Begriff ist, denn solche hässlichen Gewerbegebiete sehen auch im Westen nicht einladender aus. Auf dem Weg dorthin fahre ich an ehemaligen Kasernen vorbei, die umfunktioniert wurden zu modernen Bürokomplexen, aber auf mich immer noch so wirken, als wehe in ihnen der alte Geist der Stasi-Banden.
Denn auch die waren hier mal zu Hause.
Das Wort »geschichtsträchtig« passt zu Adlershof. 1909 nahm hier der erste deutsche Flughafen für Motorflugzeuge den Betrieb auf, im Ersten Weltkrieg waren hier militärische Flugobjekte stationiert, und in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden in den leeren Hangars,
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