Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
Bundeswehr haben sich bis zum letzten Moment, also bis zur Auflösung der Nationalen Volksarmee am 31. Dezember 1990, uns gegenüber anständig verhalten. Haben mir sogar einen Lehrstuhl angeboten an der Bundeswehrhochschule in München auf meinem Fachgebiet.« Das umschreibt er vage als Forschung für Mittel gegen biochemische Waffen.
Eine Anekdote fällt ihm ein, und die Verachtung in seiner Stimme ist unüberhörbar. Als Manfred Stolpe 1989 Ehrendoktor der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald werden sollte, gab es heftigen Widerstand bei den Akademikern, die ja alle stramme Kommunisten waren, wieso denn ausgerechnet einer von der Kirche geehrt werden sollte und wofür eigentlich.Von seinen Kollegen wurde Enderlein ausgewählt, den Protest im Großen Haus in Berlin vorzutragen, der Zentrale der Macht, beim Zentralkomitee. »Die SED-Oberen machten mir klar, warum der Kirchenmann die Ehrendoktorwürde verdiente und dass ich gefälligst darüber zu schweigen hätte.Was ich tat, ich war ja schließlich Soldat und gewohnt, Befehle zu befolgen.« Stolpe habe einen Text über die Kirche im Sozialismus geschrieben, der »war so dünn, dass jeder Student damit durchgefallen wäre«.
Statt zu lamentieren über das 1990 endgültig untergegangene Arbeiter- und Bauernparadies, gründete Enderlein zusammen mit einigen Kollegen und geliehenem Geld die Medigreif GmbH und spielte ab sofort nach den Regeln des Kapitalismus im deutschen Einheitsstaat, kaufte mit einem 15-Millionen-D-Mark-Kredit der Commerzbank das brachliegende Gelände der Militär
ärztlichen Sektion in Greifswald (daher Medi und Greif) samt Immobilien und begann von dort aus, ein Unternehmen aufzubauen. Wellness-Hotels, Kliniken, Seniorenresidenzen, alle im Osten. Inzwischen sind es 23 Firmen und neun Kliniken, und auf sein Kommando, dessen Ton sich kaum geändert hat seit damals, hören 1700 Mitarbeiter. Auch er wurde bereits geehrt als Unternehmer des Jahres, und seine politischen Kontakte sind so gut wie einst. Er kannte ganz früher Egon Krenz, später dann Helmut Kohl, und heute kenne er die Kanzlerin persönlich, klar.
Keine Rückschläge, alles immer nur gut?
Na ja, das kann man so nicht behaupten. Es gab Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts der Veruntreuung und wegen Urkundenfälschung, aber das Verfahren wird nach zwei Jahren nicht nur eingestellt, sondern Enderlein auch für die in der Öffentlichkeit erlittene Unbill entschädigt. Als ehemaligen Militär interessiert ihn die Zahl seiner seit 1990 neu hinzugewonnenen Feinde nicht, es reicht ihm zu wissen, dass es sie gibt.Wie Lothar de Maizière hätte er es für besser gehalten, wenn 1990 eine Amnestie für Mitläufer erlassen worden wäre, »nicht für die, die sich tatsächlich schuldig gemacht haben, wirklich nicht, aber für alle anderen, die nur an das System geglaubt haben und sich mit dem arrangiert hatten«, betont er.
Dann fällt ihm, bevor er dringend zu einem Termin irgendwo bei Frankfurt am Main fahren muss, noch eine Szene ein, die er genüsslich aus seiner Erinnerung holt: »Ich wurde in den Beirat der Berliner Bank berufen, muss gewesen sein 1995. Edzard Reuter forderte mich bei der ersten Sitzung auf, mich vorzustellen. Das tat ich auch. Ließ nichts aus. Eisiges Schweigen in der Runde. Am Abend beim Essen wurde ich noch einmal auf meine Karriere angesprochen und auf die DDR, und ich fand die schlichte Erklärung: Meine Herren, unsere Väter, sowohl die Ihren als auch die unseren, hatten eines gemeinsam – sie waren Nazis. Nach dem Krieg wurden Sie von den Amerikanern befreit und wir von den Russen. Und da galt es sich einzurichten.«
Dietmar Enderlein hat sich eingerichtet. Jahresgewinn von
Medigreif rund zwölf Millionen Euro. Den relativiert er gleich, denn als erfahrener Ossi weiß er, dass im Osten der menschliche Faktor Neid noch viel höher ist als im Westen: »Klingt viel, aber wir müssen ja immer noch die Kredite zurückzahlen.« Dabei lacht er.
Den Rang von Dietmar Enderlein hat Genosse Axel Hilpert nicht mehr erreicht. Es hätte eventuell noch was draus werden können, aber zuvor wurden vom Volk alle verjagt, die ihn hätten befördern können. Die DDR war spätestens ab 9. November 1989 so gut wie tot. Oberst Hilpert, verdienter Mitarbeiter des MfS unter dem IM-Decknamen »Monica« in der Hauptabteilung II, hielt sich wie alle Stasi-Büttel, die den Volkszorn fürchteten, zunächst einmal lieber zu Hause auf. Doch bald folgte auch er dem allerdings
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