Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
Häuserwänden bei anstehenden Staatsbesuchen.
Herrmann schlug dem Bauchef vor, eine Komplettinstandsetzung der Kaserne zwischen April und Oktober durchzuführen und in dieser Zeit die Mannschaften in Zelten oder in anderen Objekten außerhalb der Gebäude unterzubringen. »Die Idee war gut, aber scheiterte an der Wirklichkeit, die sich vor uns auftat. Denn unsere damaligen sowjetischen Waffenbrüder hatten au ßer Mühlsteinen und glühendem Eisen alles demontiert und verschwinden
lassen, sodass unser Vorhaben natürlich in Zeit und Kosten nicht mehr aufging.«
Wenn zivile Not am Mann war, wurden Herrmanns Truppen auch als letzte Reserve in die Volkswirtschaft abkommandiert – Motto: »Wir gründen eine LPG, die Arbeit macht die Volksarmee.« Solche Einsätze erstreckten sich sowohl auf ausgefallene Förderbänder bei Zementwerken als auch auf die Erfüllung besonderer Wünsche prominenter linientreuer Sangeskünstler, die sich ihre Villen ebenfalls liebend gern kostengünstig von Herrmann und seinen Soldaten errichten ließen, nicht ohne sich bei jeder Gelegenheit über angeblich mangelhafte Ausführung ihrer Wünsche ganz oben zu beschweren. Schließlich gehörten sie ja auch irgendwie zur Landesverteidigung, weil sie treu das Land besangen, das angeblich von Feinden umgeben war. Für mehrere Künstler baute Herrmanns Truppe Häuser mit integriertem Studio. Jedes davon kostete stolze 7,5 Millionen Mark. Bezahlt haben sie jedoch nur 660 000 Mark der DDR.
Manchmal ging es schlicht nur um die Betonierung von Waldwegen. Dass dies unbedingt nötig war, erschloss sich weder ihm noch seinen Leuten, doch die Antwort, die er aus dem Ministerium bekam, duldete keinen Widerspruch. Wenn in der kommenden Woche Franz Josef Strauß zum Jagdbesuch bei Erich Honecker in der Schorfheide eintreffe, müsse der sichtbar davon überzeugt werden, dass es sich die DDR leisten könne, sogar ihre Waldwege zu betonieren.
Die Stasi kontrollierte natürlich auch ihn, was keiner weiteren Rede wert wäre, weil sie jeden kontrollierte. Im Spitzelsystem wurden alle Offiziere bespitzelt, sogar jene, die höchstselbst insgeheim bei der Staatssicherheit als freie Mitarbeiter registriert waren. Zu den Überwachern gehörte allerdings Herrmanns älterer Bruder, der linientreu bei Gelegenheit Negatives über Richard berichtete. Bis heute kann der nicht begreifen, wie und wie sehr die Ideologie, der er einst diente, Menschen deformieren konnte, den eigenen Bruder eingeschlossen. »Bei uns war einfach alles geheim, wahrscheinlich war der ganze Staat geheim«, sagt er lakonisch.
Als die Mauer fiel, getraute sich Hermann deshalb nicht, gleich rüberzumachen. Denn wenige Wochen zuvor hatte er noch unterschreiben müssen, dass er niemals das kapitalistische Wirtschaftsgebiet überfahren, überfliegen oder betreten werde. Das Verbot saß tief. Im Fernsehen hatte er zwar alles gesehen, aber es konnte ja auch nachgestellt sein, um die Leute zu täuschen. Erst am 11. November fuhr er mit seiner Familie zum ersten Mal in den Westen und sah, die hatten tatsächlich alles, was sie immer behauptet hatten, Laden um Laden gefüllte Schaufenster, Apfelsinenkisten auf den Straßen. »Bis dahin hatte ich geglaubt, wenn ich so etwas im Westfernsehen gesehen hatte – ab 1987 durften auch NVA-Offiziere Westfernsehen anschalten -, die hätten das alles extra für die Kameras aufgebaut, nur um uns zu beeindrucken.«
Hermann rechnete in der aufbrechenden neuen Zeit mit seiner Entlassung, womit er recht hatte, und stand nun, 44 Jahre alt, ehemaliger Offizier mit Generalplanstelle, vor der Wahl, zu resignieren und sich als Frührentner irgendwie durchzuschlagen oder was Eigenes zu versuchen. »Das Ende der DDR war ein schweres Dilemma für mich.Vierzig Jahre lang war sie meine Welt, meine Heimat. Trotz aller Probleme hatte ich nie nach einer anderen verlangt.« Aber zu retten war sie nicht, das hatte auch er, der lange Überzeugte, bereits geahnt.Vielleicht sogar früher als andere begriffen, denn Bautrupps wie die seinen konnten die Augen vor der heruntergewirtschafteten Wirklichkeit nicht verschließen. Sie waren die »Feuerwehr, ob im Baugeschehen, in der Kohleindustrie oder in der Chemie. Ohne uns wäre manches noch früher zu Bruch gegangen.«
Erst verschickte er mit Hinweis auf seine technische Vergangenheit, aber ohne die militärische zu verschweigen, weil das eh nicht möglich gewesen wäre angesichts des Rangs, den er mal hatte, schriftliche Bewerbungen.
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