Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
rot und nicht braun lackiert. Jene war immerhin noch gestrig statt vorgestrig wie diese. Dass die Stasi nach wie vor über alles bestens informiert war, was gegen sie beschlossen wurde, ahnten sie aber nicht. Vom geheimen anderen Leben der mit am Tisch sitzenden Ibrahim Böhme und Wolfgang Schnur wusste keiner. Zwar gab es erste vage Hinweise, doch auf die reagierte Schnurs Demokratischer Aufbruch voller Empörung: »Verschiedenen Parteien, Tageszeitungen und kirchlichen Amtsträgern sind anonyme Briefe zugegangen, in denen leitenden Personen von Parteien und Gruppierungen unterstellt wird, sie seien als Spitzel des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit tätig gewesen. Ein solches Schreiben bezieht sich auch auf... Wolfgang Schnur. Die Absicht
ist deutlich, mit derartigen naturgemäß schwer zu widerlegenden Verdächtigungen Autorität und Vertrauen zu zerstören... Es entsteht der Eindruck, daß die Urheber, die aus dem ehemaligen Ministerium stammen... mit ihren jetzigen Aktionen... noch einmal ihre Macht... demonstrieren wollen.«
Wolfgang Schnur und Manfred Ibrahim Böhme waren aber nicht nur Inoffizielle Mitarbeiter wie so viele in der DDR – Stand im Herbst 1989: rund 110 000 -, sie hatten sich als IMB zu speziellem Einsatz verpflichtet. IMB ist die Abkürzung für eine eindeutige, aber DDR-typisch umständlich umschriebene Tätigkeit: »Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindverbindung bzw. zur unmittelbaren Bearbeitung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen«. IMB »Ralf Schirmer« alias Wolfgang Schnur und IMB »Maximilian« alias Ibrahim Böhme, um nur zwei ihrer vielen Decknamen zu nennen, diskutierten deshalb aus besonderem Interesse mit, als auf ihrer Seite des Tisches verlangt wurde, das Amt für Nationale Sicherheit aufzulösen, wie das Stasi-Ministerium mittlerweile hieß, aber dennoch die endgültige Vernichtung der Akten zu stoppen. Sie waren eher dafür, alle Unterlagen zu schreddern, aber so offen durften sie ihre Bedenken nicht äußern, ohne Verdacht zu wecken. Dass der amerikanische Geheimdienst CIA längst im Besitz vieler Dossiers war, verkauft für ein paar Millionen Mark als Datei »Rosenholz« von gewendeten Volksgenossen oder sowjetischen KGB-Freunden, konnten sie nicht wissen.
Ob die Behörde der Geheimen statt Ministerium für Staatssicherheit jetzt Amt für Nationale Sicherheit heißt – außer dem Namen hatte sich nichts geändert -, war der Mehrheit am Runden Tisch egal. Sie wollte weder das eine noch das andere. Berghofer und Gysi hatten bereits bei der konstituierenden Sitzung des Runden Tisches in kämpferischer Einigkeit den Antrag gestellt, den ganzen Apparat »zügig aufzulösen«, womit sie keineswegs auf Parteilinie lagen. Hans Modrow konnte noch so oft beteuern, er habe nichts mehr mit der Stasi am Hut, er fühle sich ausschließlich dem Wohle des Volkes verpflichtet und nicht dem
seiner Partei oder gar den Kräften von gestern, es nützte nichts. Das Misstrauen war zu groß, die Kluft zwischen Regierung und Opposition wuchs. Das Wissen um die Waffenlager der Stasi schürte die Angst vor Eskalation, und die wenigen Tage Ruhe über Weihnachten beruhigten die Gemüter nicht. Faktisch gab es zwei Regierungen, beide nicht gewählt, die eine unterstützt in der Volkskammer, die andere vom Volk.
Es war deshalb nicht nur eine taktisch bedingte Notwendigkeit der alten Kräfte, die neuen vom Runden Tisch einzubinden in künftige Entscheidungen, es war die einzige Strategie, um die Zeit bis zu den ersten freien Wahlen – zunächst für den 6. Mai 1990 geplant, dann auf den 18. März vorverlegt – zu überstehen. Wie prekär die Lage tatsächlich war, steht in den stenografischen Notizen, die Martin Ziegler in jenen Tagen nach Gesprächen der drei Moderatoren mit Hans Modrow gemacht hat: »Regierung schätzt die Lage zunehmend als gefahrvoll ein... Die Entlassenen aus dem MfS sind ein soziales Unsicherheitsfeld geworden... Es werden Elemente der Rache sichtbar... Demonstrationen und Gegendemonstrationen bauen sich auf... Es wird an der Regierungsfähigkeit gesägt... Regierung – RT – Volkskammer müssen zu einer Zusammenarbeit kommen... Es gibt zwei Möglichkeiten: Regierung muß toleriert werden. Oder die neuen Parteien müssen Regierung übernehmen. Dritte Möglichkeit: Vereinnahmung durch die BRD.«
Unter dem »Diktum staatsbedrohender Auflösungserscheinungen«, so Modrow, rückte kurzfristig in einer Regierung der Nationalen Verantwortung
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