Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
Vom Netzwerk:
weil wir alle wussten, so wie es war, kann es nicht weitergehen, und wir alle gleichzeitig keine Ahnung hatten von dem, was kommen wird.« So empfanden sie es alle – Lothar Bisky und Gregor Gysi,Wolfgang Berghofer und Lothar de Maizière, Ulrike Poppe und Günter Nooke, Rainer Eppelmann und Matthias Platzeck, Bärbel Bohley und Werner Schulz, Richard Schröder und Vera Wollenberger, Wolfgang Templin und Christoph Matschie, Markus Meckel und Steffen Reiche, Konrad Weiß und Marianne Dörfler.
    Der Staat, den Bürgerrechtler lange fürchteten, war viel schwächer gewesen, als sie das alle geglaubt hatten, und »dennoch wäre der Umbruch nie möglich gewesen ohne Gorbatschows Politik der Öffnung«, fügt Tatjana Böhm hinzu. Sie hat die drohenden, höhnischen Sprüche der Stasi-Typen nicht vergessen, die ihre Demonstrationen beim Olof-Palme-Friedensmarsch begleiteten, während Erich Honecker im September 1987 beim Staatsbesuch in Bonn war, und deshalb strikte Anweisung hatten, sich in diesen Tagen zurückzuhalten, die Knüppel im Täschchen oder unter
der Windjacke zu lassen.Wartet nur, hatten die gesagt, wartet nur, bis Honecker wieder da ist, dann werdet ihr schon sehen, was wir mit euch machen. »So war es denn auch.«
    Ulrike Poppe arbeitet heute als Studienleiterin für Politik und Zeitgeschichte an der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg. Ehemalige Bürgerrechtler, unter denen so viele Theologen waren, dass Kommentatoren damals lästerten, man sei offenbar auf dem Weg von der Funktionärs- in eine »Pfaffenrepublik«, sind heute da gelandet, wo sie einst Hilfe erfuhren, in Einrichtungen der evangelischen Kirche. Ulrike Poppe ist in der Einheit zu Hause. Stellvertretend für alle »Frauen und Männer aus der ehemaligen DDR, die sich in ihrer Überzeugung nicht verbiegen ließen«, hat sie zusammen mit zwei Mitstreiterinnen den renommierten Gustav-Heinemann-Preis bekommen und einen der höchsten Orden der bürgerlichen Zivilgesellschaft, das Bundesverdienstkreuz.
    Wie unsicher die Lage damals war, weil das »Fenster nur für eine gewisse Zeit offen stand«, ist beweisbar. Ulrike Poppes heutige Einschätzung beruht auf Fakten. Die bisherigen Autoritäten waren zwar verunsichert, aber noch nicht tot. Mundtot erst recht nicht. Bereits zwei Tage nach der ersten Sitzung des Runden Tisches, am 9. Dezember, fordert das »Kollektiv des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit Gera« die geschäftsführenden Genossen in Berlin unverhohlen zum Gegenputsch auf. Die Revolution bezeichneten sie als Konterrevolution. Ihr Fernschreiben unter dem Motto »Heute wir – morgen ihr« geht unter anderem an die Minister für Verteidigung und für Inneres, an den Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit, wie das Ministerium für Staatssicherheit jetzt hieß, an den Ministerpräsidenten, an die Parteien der Volkskammer, wo nach wie vor die alles abnickenden Abgeordneten der Nationalen Front sitzen:
    »Genossen, Bürger, heute richtet sich der Haß eines Teils unseres Volkes, geführt durch eine Minderheit unserer Bevölkerung, gegen das ehemalige MfS und jetzige Amt für Nationale Sicherheit... Sollte es uns allen gemeinsam nicht kurzfristig gelingen,
die Anstifter, Anschürer und Organisatoren dieser haßerfüllten Machenschaften gegen die Machtorgane des Staates zu entlarven und zu paralysieren, werden diese Kräfte... einen weiteren Teil der Bevölkerung gegen den Staat, die Regierung und alle gesellschaftlichen Kräfte aufbringen... müssen alles in unseren Kräften Stehende tun... um unseren soz. Staat im Interesse aller zu schützen und zu erhalten. Diese berechtigte Forderung kann jedoch nur erfüllt werden, wenn die bewaffneten Organe unserer gemeinsamen Heimat, der DDR, weiter bestehen und aktiv handeln können.«
    Was mit dem aktiven Handeln der bewaffneten Organe gemeint war, musste den Adressaten keiner erst erklären. Es war die Aufforderung, schießen zu lassen auf die frechen Provokateure, die sich auf den Straßen der Republik tummelten. Die Drohung erzeugte Angst. Gregor Gysi: »Es gab ja tatsächlich genügend bewaffnete Kräfte, aber als Hans denen befahl, sie sollten die Waffen abgeben und nach Hause gehen, haben sie gehorcht. Das war Modrows Verdienst. Der wurde akzeptiert, weil er einer von ihnen war. Wenn ich das gesagt hätte oder gar ein Bürgerrechtler, hätten die das nie gemacht. Wahrscheinlich haben sie auch im tiefsten Inneren geglaubt, fürs Volk da zu sein, und als das Volk sagte:Wir wollen

Weitere Kostenlose Bücher