Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
verhandelt werden. Sie suchten nach einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus.Wie man den pflastern müsste, wusste keiner so
recht, sie hatten nur viele Ideen. Als sie die nach den üblichen heftigen Debatten in eine gemeinsame Deklaration umsetzten, hatte der Zug zur deutschen Einheit bereits den Bahnhof verlassen, andere bestimmten die Fahrtrichtung, und sie blieben auf dem verlassenen Bahnsteig zurück. Ihre Forderung nach einem Gemeinsamen Deutschen Rat als »Organ einer deutschen Konföderation« ging draußen unter in den Rufen nach schneller Vereinigung. Eine Währungsunion zwischen beiden deutschen Staaten herzustellen war zwar unstrittig. Doch während die drinnen verlangten, dass die »Modalitäten in einem breiten gesellschaftlichen Rahmen gründlich beraten« werden, deklamierte das DDR-Volk draußen unmissverständlich:Wenn die D-Mark nicht zu uns kommt, dann kommen wir zu ihr. Das löste im Westen nicht nur Freude aus, wie man heute weiß. Also erhöhten die Lokführer das Tempo.
Davon bekommen die drinnen nicht viel mit. Sie haben ihren eigenen Rhythmus, ihr eigenes Tempo, ihre ganz eigenen Träume. Oberkirchenrat Martin Ziegler beruft sich bei seiner Eröffnungsansprache auf den von Nazis hingerichteten Christen Dietrich Bonhoeffer, dessen Widerstand gegen die Gewaltherrscher für »uns eine Verpflichtung« ist. Das können alle unterschreiben.Vor ihm liegen getippt die von Lothar de Maizière aufgestellten Spielregeln für die Sitzungen am Runden Tisch. Punkt für Punkt wird aufgelistet, was gelten soll für alle:
»1. Geschäftsordnungsanträge werden vor Sachanträgen verhandelt. 2. Geschäftsordnungsanträge sind: Bestätigung der Tagesordnung. Begrenzung der Redezeit. Ende der Rednerliste. Schluß der Beratung. Antrag über die Art der Abstimmung. Anträge gelten als angenommen, wenn sie einfache Mehrheiten gefunden haben. Minderheitsvoten sind zulässig« usw.
Redezeiten wurden bei jeder Sitzung überschritten, die Diskutanten meist vergebens von den Moderatoren zur Einhaltung der Regeln gemahnt. Als Egon Krenz unter dem Tagesordnungspunkt 5 »Staatssicherheit in der DDR« aufgerufen wurde, galt die Regel nicht mehr. Von dem wollten sie alles hören, ganz egal,
wie viel Zeit er brauchte. Das war Geschichte live und pur. Der vor Kurzem mächtige, jetzt nur noch ehemalige Vorsitzende des Staatsrates und Generalsekretär des ZK der SED ist der Mann, der an diesem Tag die Quote bei der Live-Übertragung in bislang nicht geahnte Höhen treibt. Fasziniert und fassungslos lauschen die am Tisch und die draußen im Land seinen Ausführungen. Wolfgang Ullmann, der gute Mensch, akzeptiert die anfangs geäußerte Bitte von Krenz, mit der er alle SED-Mitglieder und die gesamte Bevölkerung um Verzeihung für die entstandene Lage der Nation Ost ersucht. Obwohl er nicht für die von »Menschenrechtsverletzungen betroffenen Damen und Herren der Opposition« sprechen könne, sagt Wolfgang Ullmann, »möchte ich, nachdem Sie hier um Entschuldigung gebeten haben, Herr Krenz, für mich persönlich als Bürger und Christ öffentlich erklären, ich nehme Ihre Entschuldigung an«.
Was Krenz vorträgt, ist allerdings nicht die gebotene schonungslose Auflistung eigenen Versagens, eigener Schuld, eigener Verantwortung. Es ist eine fast weinerliche Rechtfertigung dafür, warum er so handelte, wie er gehandelt hat, dass er eigentlich stets nur das Schlimmste zu verhindern versuchte. Wahrscheinlich glaubt er es selbst.Wie die Stasi wirklich war und was sie den Menschen angetan hat, davon hat er nie erfahren, weil deren Aktivitäten nach den wöchentlichen Sitzungen des Politbüros Erich Honecker und Erich Mielke stets unter vier Augen besprochen hätten. Nach »heutigem Erkenntnisstand, und ich möchte betonen, nach heutigem Erkenntnisstand«, sei ihm jedoch klar, dass sich das »Ministerium für Staatssicherheit zu einem abgeschirmten Staat im Staat« entwickelt habe, der »selbst Mitglieder der Partei unter Kontrolle nahm. Diese Entwicklung war verhängnisvoll... Auf keiner Ebene waren die gewählten Leitungen der SED, die Sekretariate und auch nicht das Politbüro mit der operativen Tätigkeit und dem Einsatz der bewaffneten Organe direkt befasst«, vor allem er nicht, der schließlich aktiv die Ablösung Honeckers betrieben habe. Wofür er eigentlich Lob, Dank und Anerkennung verdiente.
Frage des Delegierten Klein von der Vereinigten Linken, wer die Ausweisung Wolf Biermanns, die Isolierung und
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