Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
zusammen, was nicht zusammengehörte. Die lautstarke Feministin Tatjana Böhm, die man am ersten Tag noch am liebsten aus dem Betsaal verwiesen hätte, war dabei und von den Grünen Matthias Platzeck und vom Demokratischen Aufbruch Rainer Eppelmann und natürlich der allseits geschätzte Wolfgang Ullmann von Demokratie Jetzt. Insgesamt acht Minister ohne Geschäftsbereich saßen sowohl an dem einen als auch an dem anderen Tisch, dem eckigen runden und dem im Kabinett.
Nur in dieser Zusammensetzung war der Streit über das Amt für Nationale Sicherheit lösbar. Noch am 11. Januar 1990 hatte der Regierungschef vor der Volkskammer verkündet, er denke nicht daran, das Amt aufzulösen, denn das »Aufklären und Vereiteln friedensgefährdender Pläne« sei nun mal Aufgabe des Verfassungsschutzes. Andere Staaten hätten schließlich auch so eine Institution. Dass ausgerechnet denen, die sich bekanntlich bisher einen Teufel scherten um Menschenrechte, nunmehr der Schutz der Verfassung anvertraut werden sollte, kam beim Volk nicht gut an. Schon kurz nach der Rede zogen Demonstranten durch die Straßen, Bauarbeiter mit Helm auf dem Kopf. Bei den Älteren wurden Erinnerungen an den Aufstand vom 17. Juni 1953 wach. Am Abend schlossen sich hupende Autofahrer an, vor der Volkskammer wurde die Flagge erst vom Mast geholt und dann aus ihr das DDR-Emblem herausgerissen. Erste Rufe nach Einheit. Genau das, was Modrow und die Seinen nicht hören wollten, aber auch nicht die Oppositionellen vom Runden Tisch.
Modrow rudert zurück. Bereits am nächsten Vormittag verkündet er, das Amt werde aufgelöst und die Entscheidung über eine zukünftige Behörde dieser Art einer Regierung überlassen, die durch freie Wahlen legitimiert sei. Ein sogenannter Dreierrat wird mit der Abwicklung beauftragt. Er besteht aus Georg Böhm von der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD), Werner Fischer von der Initiative Frieden und Menschenrechte und Gottfried Forck, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Intern vor dem Runden Tisch wird festgestellt, dass die Arbeitsfähigkeit des ehemaligen Amtes für Nationale Sicherheit aus »unseren Erkenntnissen nicht mehr gegeben ist. Es besteht zurzeit nicht die Gefahr der Reorganisierung der Staatssicherheit, aber wir müssen unsere Arbeit so organisieren, dass es nicht ein Kampf mit einem Drachen wird, dessen abgeschlagene Köpfe immer wieder nachzuwachsen drohen.«
Was die abgeschlagenen Köpfe heute wieder hoch erhobenen Hauptes frech leugnen, stand damals in einem Aufruf an die Bevölkerung der DDR, den der Dreierrat verfasst hat: »Das ehemalige
Ministerium für Staatssicherheit war eine verfassungswidrige Organisation, die Verbrechen an vielen Menschen begangen hat.« Die richtige Erkenntnis. Die Wahrheit.
In christlicher Nächstenliebe und wohl ähnlich wie Lothar de Maizière überzeugt davon, dass es auf Erden nun mal keine Gerechtigkeit geben kann, fügten die drei jedoch hinzu: »Aber: Nicht alle Stasi-Mitarbeiter waren Verbrecher, und vermutlich wird es nie eine Gewissheit geben, wer wie weit und in welchem Maße schuldig geworden ist.Wir sehen, daß der Volkszorn durchaus berechtigt ist – aber nicht weiterhilft... Wir wissen es doch alle: Die Verfilzung geht quer durch alle Arbeitskollektive, Freundschaften und Familien. Wir müssen etwas tun, damit wir einander einmal ohne Mißtrauen ins Gesicht sehen können.Wir müssen lernen, mit dieser Erblast zu leben, ohne zu verdrängen und zu schnell zu vergessen. Wenn wir Rechtsstaatlichkeit wollen, dann gilt das auch für ehemalige Stasi-Mitarbeiter, sie sind erst schuldig gesprochen, wenn es im Einzelfall erwiesen ist. Die Beauftragten zur Auflösung des ehemaligen Amtes für Nationale Sicherheit sind sich darin einig, daß alles getan werden muß, die Verbrecher vor Gericht zu bringen und daß die Voraussetzungen geschaffen werden müssen, daß nie wieder eine solche Organisation die Chance hat, aktiv zu werden.«
Immer dann, wenn in der Geschichte eine Revolution siegte, war am Tag danach eine Konfrontation mit den Bütteln der alten Ordnung unvermeidlich. Das lässt sich blutig lösen wie bei der Französischen Revolution oder friedlich im Dialog wie hier, wo Opfer und Täter, Helden und Halunken gemeinsam nach Lösungen suchen, sich die meisten auch noch duzen, was übrigens bis heute so geblieben ist. Jede Revolution löse »unvermeidliche Orientierungsprobleme aus«, weiß heute Richard Schröder, der für die SDP bzw.
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