Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
Vom Netzwerk:
März mit 40,8 Prozent der Stimmen stärkste politische Kraft im Land. Eine Sensation.Alle Demoskopen hatten die Sozialdemokraten als Sieger erwartet. Aber die Ostdeutschen, die zum ersten Mal seit vierzig Jahren frei wählen durften und diese Freiheit auch nützten – die Wahlbeteiligung betrug tatsächliche 93,4 Prozent und war nicht wie früher gefälscht -, wollten keine Parteien mehr, in deren Namen das Wort »sozial« vorkam, egal nun, ob »sozialdemokratisch« oder »einheitlich sozialistisch«. Lothar de Maizière wird als eindeutiger Wahlsieger zwar Ministerpräsident, aber er weiß, dies ist ein Job auf Zeit. Und er weiß, dass er auf dem Weg zur Einheit, den der Pragmatiker längst als einzig gangbaren sieht, eine möglichst breite Mehrheit braucht. Er bastelt eine Große Koalition mit der SPD. Die ist verunsichert durch die Niederlage und wie zuvor der Demokratische Aufbruch mit Wolfgang Schnur von der Vergangenheit eingeholt worden. Auch ihr Held und Spitzenkandidat Ibrahim Böhme gehörte, wie eine Woche nach der Wahl herauskam, zu den Halunken der Stasi.
    Die heute abschätzig als »Politamateure Ost« bezeichneten Politiker – de Maizière: »Ich war sicher auch unerfahren, aber wer von uns aus dem Osten war das damals nicht?« – waren wahrlich keine Amateure und erst recht keine Faulpelze. Insgesamt 759 Kabinettsvorlagen hat Lothar de Maizière in seiner Amtszeit zwischen dem 12. April 1990, an dem er von der Volkskammer gewählt wurde, und dem 3. Oktober, als die deutsche Einheit feierlich, festlich, freudig vollzogen wurde, unterzeichnet oder, wie es neudeutsch heißt, auf den Weg gebracht. »Wir konnten ja nicht einfach nur die alten Paragrafen aufheben, ohne für den gleichen Regelungsbedarf neue zu haben«, sagt er lakonisch. Sein Freund Richard Schröder hat ihm aus Jux den ehemaligen Verdienstorden der DDR geschenkt für seine Verdienste um die am Ende ihrer
Geschichte tatsächlich demokratische deutsche Republik, bis sie im vereinten Deutschland aufgegangen war.
    Lothar de Maizière weiß heute, was er damals nicht so sah: dass er und seine Minister »nur geduldet waren, bis die Westdeutschen alles übernehmen konnten«. Anschuldigungen gegen ihn, ebenfalls IM gewesen zu sein, haben sich nie beweisen lassen. Dass diese Gerüchte erst gestreut wurden, als er von der CDU in der Einheit nicht mehr gebraucht wurde, hält er für keinen Zufall. Er blieb zwar bei seinem Todfreund Helmut Kohl noch ein Jahr als Minister für besondere Aufgaben im Kabinett, doch dann zog er sich selbst zurück in seine Kanzlei und ließ sich nicht zurücktreten. De Maizière ist heute aber stolz darauf, als Erster und noch vor dem damaligen Bundeskanzler das Talent einer ostdeutschen Frau erkannt und gefördert zu haben. Er gab der studierten Physikerin einen Job als stellvertretende Regierungssprecherin, nachdem die Partei, in der sie sich engagiert hatte, der Demokratische Aufbruch, durch den Schnur-Skandal bei den Wahlen so kläglich untergegangen war. Dr. Angela Merkel hieß die.
    Ein anderer Amateur vom Runden Tisch begann unter de Maizière seine Karriere als Politiker. Rainer Eppelmann wurde im April 1990 sein Minister für Abrüstung und Verteidigung. Abrüstung – das konnte man sich bei Eppelmann vorstellen. Er war schließlich immer ein Pazifist. Aber Verteidigung? Soldaten? Offiziere? Strammstehende Wachen, die vor dem Herrn Minister salutierten? Eigentlich unvorstellbar bei seiner Biografie. Das dachten auch die NVA-Offiziere, die vier Wochen nach Eppelmanns Amtsübernahme bei einer Kommandeurstagung vor ihm saßen. Mit seinem ersten Beitrag machte er ihnen klar, woran sie sich gewöhnen mussten und wer in Zukunft das Sagen über sie haben würde: »Sie haben ab sofort einen zivilen höchsten Vorgesetzten... Ich bin Ihr oberster Befehlshaber, meine Herren, und zugleich der erste Abrüstungsminister dieses Landes.«
    Rumms, das saß.
    Rainer Eppelmann lehnt sich in seinem Stuhl zurück, bis die Lehne fast die Wand berührt, und genießt im Rückschwung die
Erinnerung. Der ihm liebste Satz seiner damaligen langen Rede steht auf Seite 35, allein dafür hat es sich gelohnt, den Eid ausgerechnet für dieses Amt abzulegen: »Was bei uns gesetzgeberisch auf dem Gebiet des Zivildienstes geleistet wurde, hat auch international Beachtung... gefunden. Es freut mich, dass im Ergebnis der jüngsten Einberufungsüberprüfungen Bedenken ausgeräumt werden konnten, die großzügigen Regelungen für den

Weitere Kostenlose Bücher