Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
den Hausarrest Robert Havemanns und die Abschiebung Rudolf Bahros veranlasst habe und wie das eigentlich war mit den gefälschten Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989?
Krenz gibt zwar zu, dass alle drei Fälle »bei mir keinen Protest hervorgerufen« hätten, aber dass dies alles geschehen sei, als er noch 1. Sekretär der Freien Deutschen Jugend war und quasi nichts zu sagen hatte. Die gefälschten Wahlen verteidigte er zunächst formal, er habe nur verkündet, nach bestem Wissen und Gewissen, was die Wahlkommissionen der 227 Kreise in die Zentrale gemeldet hätten, andere Zahlen habe er schließlich nicht vorliegen gehabt. Dann folgt ein Satz, der besser als jeder andere belegt, von welchem Geist der Mann beseelt ist, der da vor ihnen sitzt: »Und wenn man zum Wesen der Sache vordringt, dann sage ich Ihnen, die hier am Runden Tisch sitzen, nichts Neues, aber für mich ist das eine Erkenntnis erst der letzten Monate, dann waren in den vierzig Jahren zuvor niemals freie Wahlen in unserem Lande, sondern hat es ein Zettelfalten gegeben.«
Sach bloß, Genosse Egon.
Aber das sagt natürlich niemand von denen auf beiden Seiten, die dann in der deutschen Einheit untergehen im Meer der Vergessenheit oder Helden bleiben im kollektiven Gedächtnis wie Wolfgang Ullmann oder für ein paar Wochen aus dem Schatten heraustreten wie die drei Moderatoren oder wichtig sind für Ost und für West, und dies bis heute. Oder gar aus ihrer Nebenrolle inzwischen eine Hauptrolle gemacht haben wie Marianne Birthler von der Initiative für Frieden und Menschenrechte oder Angela Merkel vom ehemaligen Demokratischen Aufbruch.
Zu denen, die heute wichtig sind, aber damals nicht auffielen, gehört ein junger Mann von der Demokratischen Bauernpartei. Ulrich Junghanns sitzt auf der Seite der alten Kräfte, wo er auch hingehört. Er war mehr als nur ein Mitläufer, er war ein williger Lautsprecher des Regimes. Im Parteiblatt »Bauernecho« gab er noch im Sommer 1989, als selbst Egon Krenz, Erich Mielke und
Günter Mittag erste Bedenken kamen, ob den Sozialismus in seinem Lauf wirklich nichts aufhalten könne, seine glühende Überzeugung kund, auf der richtigen Seite zu stehen: »Eigene Leistungen für den Sozialismus, das ist die Nagelprobe für Parteilichkeit, Aufrichtigkeit, Konstruktivität in der Haltung und dem Handeln der übergroßen Mehrheit der Genossenschaftsbauern und -gärtner... Es konnten der Stolz und das offensive Auftreten der Parteimitglieder für unser sozialistisches Vaterland und im Friedenskampf weiter gestärkt werden. Und hier möchte ich anfügen:Was die Mauer betrifft, so lassen wir uns nicht deren Schutzfunktion ausreden – ganz einfach, weil wir den Schutz spüren vor all dem, was hinter der Mauer jetzt an brauner Pest wuchert.«
Selbst bei der Partei Die Linke, wo heute viele Unterschlupf gefunden haben, die in der Vergangenheit hängen geblieben sind, würde eine Altlast wie Genosse Junghanns aufgefordert werden, sich ein anderes Betätigungsfeld zu suchen. Täglich würde die CDU zur Attacke blasen, falls auf der anderen Seite einer wie er in politischer Verantwortung auftauchte. Aber vor Christdemokraten muss sich Ulrich Junghanns nicht fürchten. Er saß für die CDU, die 1990 die Bauernpartei in ihre Arme schloss, zwei Legislaturperioden lang im Bundestag, ist im siebzehnten Jahr der Einheit zum Landesvorsitzenden der CDU in Brandenburg gewählt worden und sogar bei Sozialdemokraten wohlgelitten, weil er als Wirtschaftsminister in der Großen Koalition von Matthias Platzeck sitzt. Praktizierte Normalität made in Germany: Chef des ehemaligen Betonkopfes von der sozialistischen Bauernfront ist der ehemalige Bürgerrechtler von der Grünen Liga, Matthias Platzeck.
Der Erste vom Runden Tisch, der sich in die politische Arena wagte, war Lothar de Maizière. Zweieinhalb Monate lang hatte er nach dem Sturz der Diktatur als Minister für Kirchenfragen und Stellvertreter von Hans Modrow in dessen auf Zuruf – wer hat Zeit, wer will mitmachen? – entstandenem Kabinett Erkenntnisse gesammelt. Das waren die einzigen Erfahrungen, die er vorweisen konnte, als man ihn 1990 zur Spitzenkandidatur für die CDU
drängte. Ging damals ja noch nicht, dass ein Westdeutscher im Osten antrat – wie später dann Kurt Biedenkopf und Bernhard Vogel -, denn noch gab es ja zwei Staaten deutscher Nation.
Die Allianz für Deutschland, zu der sich CDU, Demokratischer Aufbruch und Deutsche Soziale Union zusammengetan hatten, wurde am 18.
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