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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Zivildienst würden zum katastrophalen Absinken der Bereitschaft zum Wehrdienst führen.« Als der ehemalige Wehrdienstverweigerer, der einst für seine Überzeugung ins Gefängnis wanderte, am Ende die Genossen Offiziere auffordert, nunmehr ohne »Scheu und Scheuklappen« zu diskutieren, herrscht einen Moment lang Schweigen im Saal. Dann stehen alle auf und beklatschen ihren merkwürdigen Minister.
    Das hätte auch seine Freunde vom Runden Tisch gefreut. Die letzte Sitzung sechs Tage vor den Wahlen verläuft undramatisch. Keine Ansprachen. Keine Abschiedsreden. Keine Schlusserklärung. Die Vorschule zur Demokratie entlässt ihre Zöglinge ohne Zeugnis und schließt hinter ihnen ab. Sie werden in Zukunft nicht mehr gebraucht. Manche treffen sich wieder im ersten gewählten Parlament der DDR, wurden zu Konkurrenten in verschiedenen Fraktionen. Andere verlassen die politische Bühne für immer. Das DDR-Fernsehen bricht die Live-Übertragung vom Runden Tisch am 12. März um 18 Uhr ab und sendet von da an wieder ein normales Programm zu normalen Zeiten. Zum Beispiel die abenteuerlichen Reisen des »Sandmännchens«. Die ostdeutschen Kinder der Einheit lieben es bis heute, so wie es einst als Kinder der DDR ihre Eltern geliebt haben. Jeden Abend um 18.50 Uhr schickt es ihnen der MDR ins Haus.
    Auch die drei Moderatoren gehen zurück in ihr normales Leben. Jeder für sich, jeder in seins. Gemeinsam treten sie nur noch einmal im Namen Gottes auf, bei einer Andacht in der Gethsemanekirche, in der sich im Herbst des Aufbruchs 1989 allabendlich die Bürgerrechtler trafen und gegenseitig Kraft und Mut zusprachen für den aufrechten Gang in den Straßen. Sie lesen die
Messe für Abgeordnete aus der Volkskammer, bevor die zu ihrer konstituierenden Sitzung gehen. In den dicht gefüllten Reihen sitzen viele vom Runden Tisch, auch die Atheisten Hans Modrow und Gregor Gysi sind gekommen. Martin Lange ist für die Eingangsliturgie zuständig, Karl-Heinz Ducke für das Fürbittgebet um des Höheren Segen und Martin Ziegler für die Predigt. Seine wichtigste Botschaft in der ist ein Vers aus dem Psalm 43: »Die Güte steht über dem Recht. Recht kann ordnen, Güte kann heilen. Sie erlöst uns aus Verstrickung und Schuld. Recht und Güte sind bei Gott gepaart.«
    Diese Botschaft, eine für die heutige Lage der Nation immer noch passende, hat der Christenmensch Lothar de Maizière genau darum nie vergessen. Seine Bitte, am Dietrich-Bonhoeffer-Haus eine kleine Tafel anzubringen zur Erinnerung an die vergessenen Helden des Runden Tisches, ist erfüllt worden. Auch viele Fremde lesen, was auf der geschrieben steht, denn das Gebäude, vor dem die Frauen lärmten, ist heute ein Hotel: »Das friedliche Enden der deutschen Teilung nahm in diesem Haus der Kirche in einem gewaltlos erzwungenen Dialog zum Abbau von Willkür und Aufbau von Demokratie am Zentralen Runden Tisch der DDR einen Anfang. 7.-22. Dezember 1989.«

Kapitel 4
    Banalität der Bösen
    Was wäre wenn …
    ... die anderen Deutschen im Westen die Akten der Gestapo nicht nur nach den unheimlichen Vollstreckern der braunen Diktatur durchforstet hätten, sondern auch nach deren heimlichen Zuträgern, ihren inoffiziellen Mitarbeitern? Wenn Bundesnachrichtendienst und Bundeskriminalamt bei jedem Bewerber dessen SS-Karriere überprüft hätten? Wenn man für die Aufhellung der dunklen Vergangenheit eine Behörde gegründet hätte ähnlich der in Berlin nach dem Sturz der roten Diktatur? Wenn man damals die Biografien von Westdeutschen ähnlich streng überprüft hätte wie nach dem Umbruch die Lebensläufe von Ostdeutschen?
    Dann wären nicht die ehemaligen SS-Angehörigen Paul Dickopf und Rolf Holle mit dem Aufbau des Bundeskriminalamtes beauftragt worden, wo noch 1959 nur zwei von siebenundvierzig Leitenden Beamten unbelastet waren aus dem Dritten Reich. Dann wäre Exnazigeneral Reinhold Gehlen niemals Chef des Bundesnachrichtendienstes geworden. Dann wären Karl Carstens nie Bundespräsident und Hans Globke nie Chef des Kanzleramtes unter Konrad Adenauer und Theodor Oberländer nie Minister in seinem Kabinett und Kurt Georg Kiesinger nie Bundeskanzler geworden. Dann hätten sich, basierend auf aktenkundiger Vergangenheit, viele Professoren der Universitäten einen Job als Nachhilfelehrer suchen müssen und viele Ärzte einen als Hilfskraft in der Pathologie, und viele Manager, die einst als sogenannte Wirtschaftsführer im Namen des Führers gewirkt hatten, hätten sich dann

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