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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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deshalb zunächst kaum zu hören, weil die aus dem Westen viel lauter waren.
    Das andere, das nicht offizielle Stasi-Heer, das der Inoffiziellen Mitarbeiter, 174 000 Schatten, war eine schwarze Wolke, die unsichtbar ständig über den Menschen schwebte, auch dann, wenn am blauen Himmel kein Wölkchen sichtbar war. Der Historiker und Bürgerrechtler Stefan Wolle, der im Januar 1990 zu den aktiven Besetzern der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg gehörte und heute als Projektleiter im Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin arbeitet, sieht in den IMs die eigentliche Erblast der Einheit: »In der unterirdischen Welt der konspirativen Wohnungen, der geheimen Treffen mit den Führungsoffizieren, in den mündlichen und schriftlichen Berichten an die Staatssicherheitsorgane fielen die Hemmschwellen des menschlichen Anstands. Es gibt spektakuläre Fälle, in denen der Bruder den Bruder denunzierte, der Ehemann über seine Frau berichtete, in denen Schüler über ihre Lehrer und Lehrer über die Schüler Berichte verfassten. Häufig bespitzelten sich so die Zuträger gegenseitig.«
    Darüber zumindest könnte man lachen. Es war aber alles nicht zum Lachen. Die Spitzel berichteten nicht nur über andere Spitzel, sie fälschten bei Bedarf in Ermangelung von Fakten alles Mögliche – Daten,Angaben über Treffen und Informanten -, um sich bei ihren Führungsoffizieren lieb Kind zu machen. Das erschwert bis heute die Wahrheitsfindung. Falls wieder mal ein Inoffizieller Mitarbeiter enttarnt wird,Aktenlage gegen ihn offenbar eindeutig, kann die empörte Erklärung der Getroffenen, es müsse sich um Fälschungen handeln, natürlich nur die übliche Taktik sein, erst mal alles zu leugnen. Es könnte im Zweifelsfall aber sogar stimmen. Um Wahrheit oder Lüge zu beweisen, braucht man deshalb Experten, die sich in den Unterlagen auskennen.
    Das sind mitunter auch ehemalige Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit, die sich zu ihrer Vergangenheit bekannt und inzwischen bewiesen haben, dass sie nicht als U-Boote des alten Regimes versuchen, Akten zu manipulieren, sondern ohne
Rücksicht auf ihre ehemaligen Genossen bei der Aufklärung helfen. Hansjörg Geiger, später mal Chef des Bundesnachrichtendienstes, der im Oktober 1990 nach Berlin versetzt wurde, um als Direktor den Aufbau der Stasi-Unterlagenbehörde zu organisieren, hat nie vergessen, wie er zum ersten Mal vor den Regalen mit den MfS-Akten stand, alle versehen mit Zahlen und Abkürzungen, die dem Verwaltungsbeamten aus Bonn nichts sagten. Ohne die aktenkundigen Ehemaligen hätte man nicht gewusst, wo man was suchen müsste – und finden könnte.
    Manfred Stolpe zum Beispiel, bis zur Revolution stellvertretender Vorsitzender der Evangelischen Kirche, im geeinten Deutschland viele Jahre Ministerpräsident von Brandenburg, gewählt und beliebt als selbstbewusste Stimme des Ostens, im zweiten Kabinett Schröder Minister für Verkehr, Bau, Wohnungswe sen,Aufbau Ost, wehrte sich vehement gegen den Vorwurf, als IM »Sekretär« der Stasi zu Diensten gewesen zu sein. Mit wechselndem Erfolg. Sieben der acht Kirchenvertreter, die als Entlastungszeugen vor einem Untersuchungsausschuss des Potsdamer Landtages auftraten und bekundeten, von Stolpes offiziellen Kontakten zur Stasi im Sinne eines notwendigen Dialogs zwischen Kirche und Staat gewusst zu haben, gehörten selbst als IM oder als sogenannter IM-Vorlauf zur Staatssicherheit. Die Auszeichnung mit dem DDR-Verdienstorden, den er 1978 bekommen hatte, was Stolpe bestätigte, war von Mielke begründet und angeordnet worden »für Verdienste, hohe persönliche Einsatzbereitschaft und exakte Durchführung übertragener komplizierter Aufgaben zur Sicherung unseres sozialistischen Vaterlandes vor feindlichen Anschlägen und zur Sicherung des Friedens«. Sein MfS-Führungsoffizier Klaus Roßberg quittierte 1986, ein »Präsent als Auszeichnung zum 50. Geburtstag« Stolpes, eine Bibel aus dem Jahre 1599 im Wert von 3000 Mark, überreicht zu haben. Die behielt er nicht für sich, übergab sie der Kirche.
    Im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses wird Stolpe entlastet. Er sei kein Inoffizieller Mitarbeiter gewesen, habe von seiner Registrierung als IM »Sekretär« erst 1989 erfahren und in
der Zeit seiner beruflichen Verbindungen zum Regime stets versucht, die »Herrschenden zur Besonnenheit und zu einem anderweitigen Verhalten gegenüber den Betroffenen« zu gewinnen. Das Bundesverfassungsgericht

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