Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
allenfalls am Fließband bewähren dürfen oder als Staubsaugervertreter.
Falls man die Funktionäre der ersten deutschen Diktatur so behandelt hätte wie heute die der zweiten, müsste über das moralische Recht der Westdeutschen, die Vergangenheit der Ostdeutschen zu durchleuchten, nicht gestritten werden.
War aber nicht so. Viele Schreibtischtäter blieben im Westen unbehelligt, auch manche Mörder kamen ungestraft davon. Die Ludwigsburger »Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen« begann erst dreizehn Jahre nach dem Ende des Regimes mit der Aktendurchsicht.
Darum reden heute ausgemusterte Stasi-Büttel und ehemalige hohe SED-Bonzen von Siegerjustiz und zweierlei Maß, wenn es um die juristische Bewertung der jüngsten deutschen Geschichte geht und damit auch um die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit. Der Begriff »Siegerjustiz« wird von ihnen politisch missbraucht, weil sie nicht nur ihre Macht verloren haben, sondern manche für ihre Taten außerdem noch angeklagt wurden. Die DDR aber ist nicht von der Bundesrepublik besiegt worden. Die anderen Deutschen haben sich im Herbst 1989 selbst befreit, ohne fremde Hilfe, sie mussten nicht befreit werden so wie einst alle Deutschen vom Naziregime. Die Entmachteten klittern jedoch die Geschichte, um sich als Opfer zu stilisieren, um davon abzulenken, dass sie stets nur eines waren: Täter. Als sie nach der Revolution aus ihrer Schockstarre aufwachten, als sie wagten, das Maul wieder aufzureißen, das ihnen gerade erst gestopft worden war, als sie merkten, dass es ihnen nicht am nächsten Laternenpfahl buchstäblich an den Kragen ging, machten sie sich deshalb möglichst schnell daran, die Beweise für ihre Taten zu vernichten.
In den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit – und in dieser Hinsicht ähneln die Stasi-Schergen den anderen Bürokraten der anderen Diktatur – war festgehalten, mit welchen Methoden sie ihre Macht gesichert hatten. In Millionen von Karteikarten und Akten, Tonträgern und Fotos ruhten die Beweise für Willkür, Überwachung, Zensur,Terror. Das Wesen eines Regimes lässt sich am besten erkennen am Gewesenen.
Beide deutsche Diktaturen waren schrecklich, sind aber in
den Dimensionen ihrer Untaten nicht vergleichbar. Eine Gleichsetzung zwischen dem Regime der NSDAP und dem der SED stinkt nicht nur den Gestrigen, sie stinkt tatsächlich. Sie ist historisch falsch. Angriffskrieg und Völkermord, Konzentrationslager und Gaskammern sind kennzeichnend für den NS-Staat. Die DDR war auch ein Unrechtsstaat, wurde aber nicht von einer kriegslüsternen Mörderbande regiert. Selbst die Qualifizierung der DDR als Unrechtsstaat ist Lothar de Maizière zu pauschal, der Jurist bevorzugt die Definition der DDR als ein »Nicht-Rechtsstaat« und begründet das so: »Die Ruinierung einer Volkswirtschaft, der geistigen und sittlichen Befindlichkeit eines ganzen Volkes, die Indoktrination der Jugend von zwei bis drei Generationen, das sind die Vorwürfe, die ich der SED mache. Mit den Mitteln des Rechts sind die aber nicht zu sanktionieren.«
Es geht bei einer juristischen oder moralischen Beurteilung der Staatssicherheit weniger um die knapp 100 000 hauptamtlichen Mitarbeiter, denn die können sich damit herausreden, dass jeder Staat einen Geheimdienst brauche, um sich vor Feinden zu schützen. In Relation zur Gesamtbevölkerung gab es aber nicht mal in der UdSSR so viele staatliche Schnüffler wie in der DDR. Zwar schlugen sie hauptsächlich Feinde im eigenen Land zusammen, terrorisierten Andersdenkende, fälschten Beweise, inszenierten mitunter tödliche Unfälle, doch dies taten sie im Namen des Staates und waren stolz darauf, Schild und Schwert der Staatspartei zu sein. Die Stasi war kein Staat im Staat, sondern dessen Diener, war wichtigstes Instrument der Staatspartei zur Aufrechterhaltung ihrer Macht. Ihre Vollstrecker wurden gefürchtet, aber da man wusste, wer sie waren und wo sie hinter dicken Mauern saßen und welche Autos sie fuhren und sogar welche Windjacken sie trugen, verkörperten sie den sichtbaren Schrecken.
Den versuchte man listig zu umgehen, arrangierte sich im Alltag. Alle wussten, dass es die Horchbanditen gab, senkten die Stimme, schlossen die Fenster, machten nur dann böse Witze, wenn sie sicher zu sein glaubten, dass niemand mithörte. Die Widerspenstigen hatten sich angewöhnt, halblaut zu sprechen, Halbsätze
wegzulassen, doch sie verstanden sich untereinander gut. Nach dem Umsturz waren sie
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