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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Diese Schieflage der Nation dürfte also nicht nur vom Lebensalter abhängen, sondern könnte aus dem Gefühl entstanden sein, dass die deutsche Einheit für viele Profiteure ein glänzendes Geschäft war, zu viele dagegen nicht von ihr profitierten. Unstrittig ist zwar, dass es vielen nicht gut geht
im Osten, aber ebenso unstrittig, dass es allen besser geht als vor 1990. Und dass es im Westen ebenfalls nicht allen gut geht, aber vielen schlechter als vor dem Umbruch. Ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, die 16,7 Millionen im Osten gemeldeten Deutschen, stellt fünfzig Prozent der gewaltbereiten Rechtsextremen.
    Richard Schröder bestreitet wortgewaltig, dass dies eine ganz spezifische Folge der gewaltigen Veränderungen nach 1990 und ganz allgemein eine Verrohung des Ostens sei, nur »weil sich dort die Gewaltbereitschaft auf einem Niveau wie zu Großvaters Zeiten« befinde, also ungebrochen deutschnational. Es gab rechte Schlägerbanden schon zu DDR-Zeiten, es gab Skinhead-Überfälle gegen Besucher eines Punkkonzerts in der Gethsemanekirche, es gab Offiziere der Nationalen Volksarmee, die Hitlers Geburtstag feierten. Bei der Birthler-Behörde sind 1067 Namen von auffällig gewordenen und dann verurteilten Rechtsradikalen verzeichnet. Die eigentliche deutsche Pest, sagt Schröder, sei »das nationalsozialistische Gedankengut. Die Cholera ist die Brutalität von Jugendlichen, auch untereinander. Und die ist tatsächlich im Osten stärker verbreitet als im Westen«, auch deshalb, weil dort »der Level von Anstand und Zivilität« höher sei. Nicht zufällig also, dass – schlimm genug – jeder dritte Westdeutsche an die Kraft der Demokratie glaubt, aber jeder zweite im Osten an ihr zweifelt.
    Zwar ist bei Umfragen, ob man grundsätzlich mal bereit sei, rechtsextremistische Parteien zu wählen, kein Unterschied zwischen Ost und West festzustellen.Vor zehn Jahren bejahten das sowohl in Sachsen-Anhalt als auch in Baden-Württemberg elf Prozent der Befragten, in Bayern und Thüringen jeweils neun Prozent. Aber sobald es zum Schwur in der Wahlkabine kommt, scheiden sich da offenbar doch die Geister. In den alten Bundesländern haben Rechtsextreme in jüngster Zeit nur in Bremen den Sprung ins Stadtparlament geschafft, weil die DVU im traditionell deutschnationalen Bremerhaven über die Fünf-Prozent-Hürde und damit ein Mann in die Bürgerschaft kam, obwohl die Partei insgesamt im Stadtstaat, zu dem bei Wahlen auch Bremerhaven gerechnet
wird, nur etwas mehr als zwei Prozent erzielte. Alle anderen westdeutschen Landtage, in denen in der Vergangenheit Republikaner oder mal NPD vertreten waren, sind mittlerweile nazifreie Zonen. Was allerdings nicht gilt für Kreistage und Bezirksparlamente.Von rund zweihundert rechtsextremen Abgeordneten auf dieser Ebene wurden drei Viertel im Westen gewählt.
    Im Osten breitet sich in Gebieten, in denen mobile Bürger auf der Suche nach Arbeit das Land verlassen haben, auf verdorrtem Feld die Farbe Braun flächendeckend aus. NPD und DVU waren bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und vor allem im Freistaat Sachsen erfolgreich, wo die NPD zuletzt 9,2 Prozent der Stimmen holte – in absoluten Zahlen 190 000 Wähler – und nur noch 0,6 Prozent hinter den Sozialdemokraten lag. Bei den sächsischen Gemeindewahlen im Frühsommer 2008 vervierfachte die NPD ihren Stimmenanteil im Vergleich zur vorigen Kommunalwahl auf nunmehr 5,1 Prozent. Die Braunen sitzen in allen Kreistagen.
    Dass sie sich im Alltag selbst schnell entzaubern wegen hörund sichtbarer Unfähigkeit, dass die anderen Parteien von CDU bis PDS, von anständigen Konservativen bis zu aufrechten Linken, sie im Dresdner Landtag isolierten und jedwede Zusammenarbeit mit ihnen ablehnten, dass sie so behandelt wurden, wie sie es verdienten, ist zwar auch wahr, aber kein Grund, Entwarnung zu geben. Die Neonazis hatten nie vor, sich etwa in Parlamenten zu engagieren, stattdessen nutzten sie die ihren Fraktionen zustehenden finanziellen Mittel, um ihre Strukturen im Osten auszubauen. Dadurch können sie in »Bürgerbüros« neue Anhänger gewinnen, indem sie sich um deren Nöte kümmern und sich tarnen als nette Nachbarn von nebenan, statt auf ihre Nachbarn einzuschlagen.
    Diese Doppelstrategie ist Taktik. Einerseits verbal die Absage an jedwede Gewalt, um wählbar zu sein für biedere Stammtischdeutsche, die zwar denken wie sie, aber mit rechten Schlägern nichts zu tun haben wollen. Andererseits das

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