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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Stationen in der westlichen Welt Selbstbewusstsein getankt hat, um dann, zurückgekehrt in die alte, nunmehr freie Heimat, als Unternehmer etwas zu wagen.
    Arbeit ist die beste Waffe gegen die Parolen dumpf dampfender Volksverführer. So simpel kann Politik sein. So simpel? Wolfgang Böhmer nickt. »Wenn wir die Arbeitslosigkeit senken und den Lebensstandard heben, haben die Extremen keine Chance mehr. Wir haben ja keine politisierte Gesellschaft, sondern eine, die auf eigenes Wohlbefinden bedacht ist.Wenn es allen besser geht, geht es den Rechten schlechter.« Sein Kollege Matthias Platzeck von der anderen noch großen Volkspartei ergänzt, es sei zwar nicht so, dass einer, der Arbeit hat, automatisch kein Nazi mehr ist, »aber wenn die Eltern Arbeit haben, entwickeln sich die Familien anders«, und dann werde den Braunen der Nährboden entzogen.
    Beide wissen, dass bis zu diesem Ziel noch ein langer Weg vor ihnen liegt. Die ewig Gestrigen sind nicht nur bei ihnen in Sachsen-Anhalt und in Brandenburg, sondern auch in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern eine sehr heutige Gefahr im deutschen Osten.
    Ich besteige den Zug. Rückwärts in die Vergangenheit, vorwärts in die Biotope der neuen Nazis.

Kapitel 6
    Ausstieg rechts: Nette Nazis nebenan
    Aufs weite Feld der deutschen Einheit strömen seit der unblutigen Revolution unter lauten Schlachtgesängen auch die alten und die neuen Nazis. Dirigiert von ideologisch geschulten Taktikern, haben sich vaterländische Dumpfbacken schon früh vereint und dann gemeinsam auf den Weg gemacht. Auf Tiefstebene ist bei Dummdeutschen West und Dummdeutschen Ost inzwischen zusammengewachsen, was zusammengehört. Willy Brandt würde die Faust aus dem Grab recken, wenn er wüsste, dass seine leidenschaftlich am Tag nach dem Mauerfall verkündete Vision von der zusammenwachsenden Nation, ein Klassiker in der Geschichte deutscher Politikerreden, zuerst von Rechtsradikalen verwirklicht worden ist. Ausgerechnet von denen, die der linke Sozialdemokrat ein Leben lang bekämpft hat, ausgerechnet von nationalen Reaktionären, deren Nazi-Großväter den Emigranten und aufrechten Patrioten stets mit Hass und Häme als Vaterlandsverräter verfolgt haben.
    Die Aufmärsche ihrer Enkel – glatzköpfige Jugendliche meist männlichen Geschlechts, grölend und Fahnen schwenkend und gewaltbereit – könnten sogar die Demokratie stärken, statt sie zu schwächen, weil solche Schlägertrupps auf Otto und Elsa Normalbürger eher abschreckend wirken, weil sie mit denen nichts zu tun haben wollen und nicht öffnen, falls sie an der Haustür klingeln. Zu den kleinen Pflänzchen Hoffnung auf den rechten Kampffeldern gehört die Meldung, dass insgesamt laut Umfragen die Zahl derer, die jedwede Form von Gewalt ablehnen, zum ersten Mal auf über fünfzig Prozent gestiegen, die Mehrheit aller Deutschen also grundsätzlich friedlicher Natur ist.
    Bei Jugendlichen ist die Gewaltbereitschaft allerdings ungebrochen: 34 Prozent sind es im Osten, 19 Prozent im Westen. Sie werden außerdem immer brutaler. Im Vergleich zu 2006 stieg 2007 die Zahl der Opfer rechter Gewalt um 25 Prozent auf mehr als fünfhundert Verletzte. Ganz allgemein jedoch ließe sich die auch im Ausland wachsende Besorgnis über Neonazis, die nach der Einheit in den neuen Bundesländern eine Heimat gefunden haben und dort in den Landtagen vertreten sind, mit dem Hinweis kontern, dass es schließlich auch im übrigen Europa einem gewissen Bodensatz von Rechtsradikalen gibt. Und dass die in Italien oder Frankreich oder Belgien oder England ebenso absto ßend sind wie die hauseigenen und ebenso brutal – aber ebensowenig eine Gefahr für die Demokratie dort sind wie für die unsere hier.
    Oder etwa nicht?
    Zu erkennen ist der Prototyp Neonazi nicht mehr allein an Attributen wie Springerstiefeln oder Glatze. Experten der vielen Opferberatungsstellen erklären stattdessen als typisch eher Kleidungsmarken wie Pit Bull,Thor Steinar, Lonsdale, Consdaple, die von rechtsradikalen Jugendlichen getragen werden. Oder verweisen auf den Zahlencode 88, der von Jung-Nazis als Symbol ihrer Gesinnung benutzt wird, denn 88 steht für zweimal den achten Buchstaben des Alphabets, für zweimal H, für »Heil Hitler« also. Nach außen tarnen sich die braunen Brüder, so zuletzt im Sommer 2007 bei den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm oder bei den Mai-Krawallen 2008 in Hamburg, genauso wie ihre radikalen Gegner vom Schwarzen Block: schwarz gekleidet,

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