Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
ruckzuck, während es im Westen viel zu lange dauert. Beispielsweise hat die ostdeutsche Metall- und Elektroindustrie innerhalb von nur zehn Jahren fast 100 000 neue Arbeitsplätze geschafften, von 300 000 auf 400 000 aufgestockt.
In einer ausführlichen Analyse stellte deshalb ein Gesprächskreis Ost der Bundesregierung unter der Leitung von Klaus von Dohnanyi (Politiker West) und Edgar Most (Banker Ost) Thesen auf, wie denn in Zukunft bis zum Ende des laufenden Solidarpaktes II im Jahre 2019 mit den staatlichen Mitteln am besten und sinnvollsten umzugehen sei. Sie forderten nichts anderes als eine Kurskorrektur.
Da die Infrastruktur inzwischen gut und da nichts mehr zu verbessern sei, sollte Geld in neue Unternehmen gesteckt und um die herum eine Art Forschungslandschaft zum Blühen gebracht werden. Statt pauschaler Flächenförderung wollen die Experten Wachstumskerne alimentieren. Für kleine und mittlere Unternehmen dürfen zum Beispiel zehn Jahre lang alle Gewinne steuerfrei bleiben, falls sie die nicht dem Betrieb entnehmen. Um dieses Konzept umzusetzen, sind aber »bessere organisatorische Lösungen in der Bundesregierung erforderlich. Die Koordination der Aufgaben verschiedener Ministerien und die Durchsetzung der Entscheidungen ist zu verbessern. Dazu wäre es zweckmäßig, dass von der Bundesregierung eine ausschließlich hierfür zuständige Person mit der Koordinierung der Aufgaben beauftragt wird. Sie sollte von einem Gremium sachverständiger Praktiker ständig begleitet werden.«
Das Papier übergaben sie im Juni 2004 dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Es gab ein gemeinsames Foto und viel Lob für die interessante Arbeit. In welcher Schublade welches
Beamten die Analyse dann verschwunden ist, wissen die Verfasser nicht. Ihr Eindruck, und den teilen viele, ist der, dass sie zumindest der jetzt zuständige Minister für den Aufbau Ost entweder nie gesehen oder nie gelesen hat.
Wo es wirklich etwas zu bestaunen gibt, wo einzelne Blüten in der Landschaft zu sehen sind, hat das meist ohne Politik geklappt. Da haben sich mutige Unternehmer was getraut. Nach drei Pleiten in Torgelow, einer kleinen Stadt im äußersten Nordosten des Ostens, kam endlich einer, der aus der Eisengießerei wirklich was machen wollte und nicht nur für sich einen Reibach. Ein Österreicher. Der Umsatz ist von 2003 bis 2007 von lächerlichen fünf Millionen auf 90 Millionen Euro gestiegen, statt damals fünfzig sind sechshundert Menschen beschäftigt. Der nahe Hafen in Rostock vermeldet zweistellige Zuwachszahlen und das im Armenhaus Mecklenburg-Vorpommern. Zwar sind die Meckpommer mit einem durchschnittlichern Jahreseinkommen von 25 000 Euro nach wie vor Schlusslicht in der Tabelle, aber als beliebtestes Urlaubsziel der Deutschen haben sie inzwischen Bayern abgelöst, und auf ihre vier Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr sind sie mächtig stolz.Vergessen allerdings auch nicht, bodenständig ehrlich wie ihr knorriger Ministerpräsident Harald Ringstorff, darauf hinzuweisen, dass sie nur 1,4 Prozent zur bundesdeutschen Wertschöpfung, dem Bruttoinlandsprodukt, beisteuern.
Andere Ossis scheuten sich nicht davor, drüben im Westen anzutreten und zu beweisen, dass sie besser sind als die Konkurrenten vor Ort. Der ehemalige Konsum Dresden ließ sich im fränkischen Erlangen nieder und wollte dort unter dem Motto »Konsum goes West« Erfolg haben. Es hat geklappt. Zum ersten Mal ging eine Handelskette mit Sitz im Osten rüber in den Westen. In der DDR gab es zwanzig Konsumgenossenschaften, die Tausende von Warenhäusern, HO-Läden und Gaststätten betrieben. Gemeinsam war allen, dass es nie das gab, was die Kunden gerade verlangten. Die Vereinigung hat der auf Sand gebaute Riese deshalb nicht lange überlebt. Die Mitarbeiter vom Konsum Dresden wehrten sich gegen die Pleite. Setzten auf ein anderes Geschäftsmodell,
boten Qualität statt den üblichen Billigramsch, ohne den angeblich im Osten kein Geschäft bestehen kann, fingen bescheiden mit Konsum-Frische-Märkten an, hatten Erfolg und konnten die noch im Portfolio verbliebenen kleinen Konsum-Filialen, 42 von einst vielen tausend, hinüberretten ins 21. Jahrhundert.
Inzwischen schreiben sie drüben schwarze Zahlen, fühlen sich stark genug, geführt von einem nicht ganz dialektfreien Sachsen, sich den Westen zu erobern. Dieser Unternehmer ist atypisch, weil er sich bereits kurz vor dem Umbruch aus der DDR per genehmigte Ausreise verabschiedete und auf vielen
Weitere Kostenlose Bücher