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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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schwarze Kappen, schwarze Sonnenbrillen. Seit die Faschisten von Antifaschisten, der Antifa, systematisch ausgespäht werden, um Autonomen bei Überfällen auf linke Jugendtreffs schlagkräftig und rasch helfen zu können, werden sie als Anti-Antifa bezeichnet. Sie selbst nennen sich NSBB, was in einer Mischung von Deutsch und Englisch die Abkürzung sein soll für »national sozialistischer black block«.
    Wer mehr weiß über die Verbrechen insbesondere deutscher
Faschisten in der Vergangenheit, müsste immun sein gegen Attacken der faschistischen Viren heute. Wissen macht bekanntlich den Kopf frei. Also wäre das Problem lösbar durch Aufklärung, frei nach der Formel: Je gebildeter das Volk, desto weniger Potenzial für völkische Hassprediger? Oder haben rechtsextreme Parteien in den neuen Bundesländern deshalb so extrem viel Zulauf, weil die Wähler im Osten einfach dümmer sind als die im Westen? Gewinnen sie ausgerechnet dort, wo Antifaschismus vierzig Jahre lang bereits an den Schulen gepredigt wurde, Hunderttausende von Stimmen, weil die aufgeklärten Bürger in Scharen das Arbeiter- und Bauernparadies verlassen haben – allein bis zum Mauerbau waren es schon über zwei Millionen – und deshalb drüben der Humus fehlt, auf dem eine Zivilgesellschaft wachsen kann? Je niedriger der Intelligenzquotient, desto höher die Zustimmung für Neonazis?
    Scheinbar ist es so. Denn mit steigender Bildung sinkt die Zustimmung zu Aussagen wie jenen, dass ab und an ein starker Führer gut sei fürs Land, dass zu viele Ausländer das deutsche Sozialsystem ausnutzten, dass unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform und dass insgesamt unter den Nazis nicht alles nur schlecht gewesen sei – ja sogar, dass man Adolf Hitler für einen bedeutenden Politiker halten dürfe, hätte er nicht sechs Millionen Juden ermorden lassen.
    So einfach aber ist es nicht. Bildung schützt eben nicht vor Fanatismus. Mit einigen Prozent rechtsradikaler Deppen kann eine starke Demokratie ja durchaus leben. Rechtsextreme Forderungen nach einem starken Staat, einem autoritären Führer, die Dumpfbackenparolen »Deutschland den Deutschen« und »Ausländer raus« finden jedoch auch bei denen Zustimmung, die sich zur geistigen Elite der Nation rechnen und dies zumindest formal anhand ihrer Ausbildung, Zeugnisse,Werdegänge belegen.
    Michael Friedrich Vogt, Honorarprofessor am Institut für Medienwissenschaft an der Universität Leipzig, wurde erst dann von seiner Tätigkeit entbunden, als Studenten seine wahre Gesinnung offenlegten. Sie hatten seinen Namen auf einer Solidaritätsadresse
für die bis November 2007 aktive, dann im Streit auseinandergebrochene rechtsextreme Fraktion »Identität, Tradition, Souveränität« (ITS) im Europaparlament entdeckt, wo er neben Gerhard Frey, dem Führer der Deutschen Volksunion (DVU), und Udo Voigt, dem Führer der NPD, genannt wurde. Am äußersten rechten Rand der Gesellschaft war der Akademiker wohlgelitten, wie sich ebenfalls dabei herausstellte. Besonders beliebt unter Neonazis ist Vogts Dokumentarfilm »Geheimakte Heß«, sein Co-Autor ist heute Berater der sächsischen NPD-Fraktion, die allerdings eh keinen Ruf mehr zu verlieren hat. Fast zehn Jahre lang dozierte Vogt in Leipzig.Während seiner Lehrzeit hatte offenbar niemand bemerkt, auch nicht seine Vorgesetzten, wes Geistes Kind er war und ist. Die Vorwürfe gegen ihn würden sich ja nur auf seine »außeruniversitäre Tätigkeit« beziehen, hieß es in einer hilflos peinlichen Erklärung der Institutsleitung, nachdem der akademische Rechtsausleger aufgeflogen war.
    Von wegen also, dass solcher Gedankenmüll sich nur da verbreitet, wo sich nie Gedanken breitmachen konnten. Insgesamt sind es neun Prozent der zum Thema Rechtsextremismus befragten Deutschen Ost wie West, gebildete wie ungebildete, die keine Probleme damit hätten, in einer Diktatur zu leben. Dass dabei die klammheimliche Zustimmung im Osten prozentual höher ist als die im Westen, mag daran liegen, dass drüben eine ganze Generation bis ins hohe Alter nie etwas anderes erlebt hat als Diktaturen, egal, unter welchen Vorzeichen, braun oder rot, und sich in ihrem Alltag zwangsläufig daran gewöhnt und mit dem jeweiligen System arrangiert hat.
    Es gibt aber auch viele Belege, mir denen die These zu stützen ist, dass die Deutschen drüben besonders anfällig sind für rechtsextreme Parolen, allzeit bereit zur Gewalt gegen Andersdenkende oder Andersaussehende.

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