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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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für ein gewaltfreies Halberstadt« im Rathaus traf. Erstens sei Halberstadt mehr als jede andere Gemeinde schon zuvor wegen rechter Gewalttaten auffällig geworden, und zweitens solle man wenigstens zugeben, dass es hier »reichlich Stellen gibt, wo man nachts nicht sicher sein kann«, beispielsweise an Tankstellen, beispielsweise am Bahnhof, an den bevorzugten Treffpunkten der Neonazis. Die von den Berichten in überregionalen Zeitungen und Fernsehsendern aufgeschreckte Justiz verkündete bereits wenige Tage nach dem Überfall im Juni 2007, man habe vier Verdächtige festgenommen. Einer gab alles zu, die anderen, uniform bekleidet mit Lonsdale-Pullovern, schwiegen vor Gericht, als im Oktober endlich der Prozess begann. Das Urteil, Ende Mai 2008: drei Freisprüche gegen die schweigenden Mitangeklagten, weil ihnen nichts nachzuweisen war, was an den Fehlern bei den polizeilichen Ermittlungen nach dem Überfall lag, zwei Jahre Haft gegen den geständigen und bereits vorbestraften vierten Mann. Man kann es auch so ausdrücken, dass in Sachen-Anhalt Menschen von Rechtsradikalen verprügelt wurden und die meisten Täter straffrei davonkamen.
    Jeder Kriminologe aber weiß, was am wichtigsten ist bei der Bekämpfung von Gewaltkriminalität – Verhandlung zeitnah zur Tat, abschreckende Strafen im Rahmen des gesetzlich Möglichen. Man braucht im Osten wie im Westen keine schärferen Gesetze, nur ein geschärftes Bewusstsein.
    Der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye,Vorsitzender des Vereins gegen Fremdenfeindlichkeit »Gesicht zeigen! Aktion weltoffenes Deutschland«, plädiert deshalb für zivilgesellschaftlichen Widerstand, weil Neonazis schließlich nicht über Nacht vom Himmel auf Dunkeldeutschland fallen, sondern in einer Gesellschaft wachsen würden – Schule, Elternhaus, Arbeitsplatz -, die der geistigen und moralischen Verwahrlosung zu lange tatenlos zugeschaut habe, während die Feinde der Demokratie mit allen Mitteln versuchten, das demokratische System zu zerstören. Es seien auch stets kleine Siege der Szene, wenn bei Prozessen gegen rechtsextreme Gewalttäter die Namen und Adressen
von Zeugen im Gerichtssaal verlesen werden, »während im Zuschauerraum feixende Glatzen sitzen« und sich die Daten für künftige Drohungen notierten. Der gesamtdeutsch aktive Verein, der sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert, kämpft mit Projektwochen an Schulen, mit Kampagnen in Kinos und im Fernsehen und auf Plakaten für ein weltoffenes Deutschland, viele Prominente aus Politik, Wirtschaft, Medien, Kultur sind dabei und zeigen ihr Gesicht so wie Maybritt Illner: »Gegen Rechts hilft nur Klartext: Keine Toleranz gegenüber Intoleranz«. Massenmedien wie »Die Zeit« und der »Stern« und das ZDF haben gemeinsam mit Partnern wie dem Deutschen Feuerwehrverband oder den Vereinen der Fußballbundesliga und dem Deutschen Fußballbund, in dessen unteren Ligen es oft nicht nur gewaltig braun stinkt, sondern zu oft gewalttätig zugeht, ein Netzwerk aufgebaut, um »mit Rat und Tat gegen Rechtsextremismus« vorzugehen und es nicht nur bei Worten der Empörung oder Betroffenheit bewenden zu lassen.
    Es wird inzwischen nämlich zu oft einfach hingenommen, dass bei einem Stadtfest oder bei der dörflichen Kirmes vierzig, fünfzig, sechzig lautstarke Neonazis auftauchen, den ihnen aus Angst ohne Widerstand überlassenen Freiraum besetzen, während am Nebentisch die Honoratioren still verlegen weiterbechern, statt sich gegen die Pöbeleien zu wehren und einfach mal per kostenfreien Notruf 110 die Polizei zu rufen.
    Die ist nicht immer rechtzeitig vor Ort, die ist nicht immer so recht motiviert gegen Rechtsradikale wie jene mobile Einsatztruppe in Brandenburg, die mir besonders gut gefällt, nicht nur, weil sie intern von Kollegen, die mir davon erzählten, als die Abteilung »Angst und Schrecken« bezeichnet wird, sondern auch weil sie bei dem braunen Schlägerpack dank ihrer tatkräftigen Einsätze Angst und Schrecken verbreitet, einen derartigen Respekt erworben hat, dass bereits nach einem Jahr die Zahl der Gewalttaten in Brandenburg um die Hälfte sank.
    In Sachsen-Anhalt, dem bei Gewalttaten von jugendlichen Neonazis führenden Bundesland, wurde das nun mal nicht zu
leugnende Problem »gelöst«, weil bei einer Dienstbesprechung laut Protokoll der leitende Beamte darauf drängte, künftig nur noch eindeutig rechtsradikale Delikte in der Kriminalstatistik zu erfassen. Der Sprecher des

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